Technicolor: Hollywood im Rausch des Regenbogens

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Über 20 Jahre lang war die Farbenpracht des Technicolorverfahrens eines der wirkmächtigsten Markenzeichen der Traumfabrik. Das Österreichische Filmmuseum zeigt Glanzstücke und Raritäten aus der Zeit, teilweise in Originalkopien.

Als Dorothy im „Zauberer von Oz“ die Tür ihres vom Wirbelsturm verwehten Hauses öffnet, stockt dem Zuschauer erst mal der Atem: Es ist, als hätte sie die Pforten der Wahrnehmung aufgedrückt, von denen William Blake einst sprach: Bewusstseinserweiternde Buntheit ergießt sich über die bislang sepiabraune Leinwand und erstickt „somewhere over the rainbow“ jede Vernunftreaktion im Keim. Diese Sternstunde der Filmgeschichte verdankt sich unter anderem dem Farbverfahren Technicolor, das 2015 sein 100-Jahr-Jubiläum feiert; eigentlich machte erst dessen charakteristische Strahlkraft eine richtige (Fieber-)Traumfabrik aus Hollywood.

Doch der Weg zur vollen Blüte war lang und steinig. 1915 gründete der vom wirtschaftlichen Potenzial fotochemischer Farbfilmherstellung überzeugte MIT-Absolvent Herbert T. Kalmus die nach seiner Alma Mater benannte Firma „Technicolor, Inc.“ und patentierte bald sein erstes Verfahren – bis zum Erfolgsmodell sollten zwei weitere folgen. „Process No. 1“ brauchte noch einen Spezialprojektor und forderte vom Vorführer die Fähigkeiten eines akrobatischen Uniprofessors, wie es Kalmus selbst ausdrückte.

Zu Beginn ein Debakel

Der erste Testlauf war ein Debakel. Im Laufe einer kostspieligen Experimentierphase bürstete das Unternehmen die Schwächen der Technik im Austausch mit der Kinoindustrie aus, zu Beginn diente ein Eisenbahnwaggon als mobiles Filmlabor. Der eingangs additive Vorgang wich einem subtraktiven, das spektral eingeschränkte Zwei-Farb-System wurde 1932 vom entscheidenden „Process No. 4“ abgelöst, bei dem drei separate Filmstreifen via Prisma und Filter rot, grün und blau belichtet wurden. Um diese für die Projektion zusammenzufügen, nutzte man den „Dye Transfer“-Reliefdruck, der sich als besonders beständig bewährte.

Die technischen Eigenheiten des Verfahrens führten zu satten, intensiven und flächigen Farben mit pastöser Textur und einem Grundmaß an unberechenbarem Eigenleben in der Entwicklung – der häufig bemühte Vergleich mit der Ölmalerei kommt nicht von ungefähr. Lippen glühten röter, Blätter grüner, Schatten schwärzer. Allerdings wurde auch Three-Strip-Technicolor von den Studios skeptisch beäugt, zu teuer und aufwendig schien die Methode. Ein Exklusivvertrag mit Walt Disney verhalf der Firma zum Durchbruch: Der Oscar-Sieg des Kurztrickfilms „Flowers and Trees“ ebnete den Weg für einen Farbrausch bei Kritik und Publikum, der bis Mitte der 1950er-Jahre anhalten sollte. Die Retrospektive im Filmmuseum fokussiert auf diese goldene (eher: kaleidoskopische) Ära.

In dieser Zeit erwies sich Kalmus als gewiefter Geschäftsmann, der sich über vertikale Integration maximale Produktkontrolle sicherte. Wer Technicolor-Aufnahmeausrüstung mietete, bekam einen Farbberater dazu. Unter der Leitung von Natalie Kalmus, der Exfrau des Erfinders, hatte dieser für die Einhaltung ästhetischer Richtlinien zu sorgen, die das Image des Farbfilms als billige Attraktion bekämpfen sollten. Ziel war eine funktionelle, dezente Stilistik im Dienste der Handlung – doch bei aller Zurückhaltung konnte man der eigenmächtigen Farbgewalt keine Zügel anlegen. Ironie der Filmgeschichte: Das anfängliche Streben nach Realismus gebar nun oft surreale Wunderwelten, besonders im Musicalgenre, für das die Technik wie geschaffen schien. Vincente Minnellis „An American in Paris“ etwa kulminiert in einem viertelstündigen Tanzdelirium, dessen expressionistische Farbexzesse mit narrativer Logik allein nicht zu erklären sind (und von den Produzenten beinahe verhindert wurden).

Aura unersetzlicher Unikate

Aber fast alles, was man in Technicolor tunkte, wurde transfiguriert: Mantel-, Degen- und Abenteuerfilme erschienen in neuer Frische („The Adventures of Robin Hood“, „The Three Musketeers“), Westernlandschaften leuchteten wie nie zuvor („The Shepherd of the Hills“, „Duel in the Sun“), und selbst der farbige Film noir war nur auf den ersten Blick ein Widerspruch („Niagara”, „Leave Her To Heaven“). Dies sind bloß die bekanntesten Beispiele: Die Schau wartet mit zahlreichen Raritäten auf, die ihrer Entdeckung harren. Dabei wechseln sich erhaltene Originalkopien mit späteren Kopien und restaurierten Fassungen ab. Die letzten Technicolor-Kopierwerke wurden 1993 in China aufgelassen – der ursprünglichen Farbwirkung können sich die Neuauflagen folglich nur annähern, manchmal auf die Gefahr hin, sie in Schärfe und Intensität zu überflügeln. Den „Dye Transfer“-Originalen haftet indes die Aura von unersetzlichen Unikaten an, die sonst Gemälden vorbehalten ist.

Führt man sich das Farbspektrum des zeitgenössischen Kinos vor Augen, scheint gesteigerte Wirklichkeit aus der Mode gekommen. Fast wähnt man sich wieder ins Zwei-Farb-Stadium zurückgeworfen: Türkis und Orange dominieren die matten, kontrastarmen, gnadenlos ausgeglichenen Postproduktionspaletten des digitalen Zeitalters. Auch hier kann sich bisweilen chromatische Pracht entfalten, keine Frage – das Prädikat „glorious“ aber bleibt nach wie vor Technicolor vorbehalten.

„Glorious Technicolor“: Filmmuseum, bis 3. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2015)

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