Analogue Eye: Land in der Blase

(c) Christine Ebenthal
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Der Südafrikaner Brent Meistre gastiert bald in Wien und spricht über seine spezielle Form von Auto- und Pop-up-Kino, ein Kunst- und ein Sozialprojekt.

Eine Erkundung Algiers auf touristische Art offenbart bei näherem Hinsehen subversiven Charakter: Regisseurin Katia Kameli zeigt, wie das Heute, die Heutigen in die koloniale Vergangenheit und ihre Bauten einsickern und sie verändern. Der Film ist schön, aber auch eine diskrete Kampfansage an die polierten Ansichten, welche die Fremdenverkehrsindustrie von der Welt zeichnet. Schauplatzwechsel zu Nirveda Alleck aus Mauritius: In einem ihrer Filme steht eine gedoppelte Frau ohne Unterleib an einem Gewässer, sie faltet ein rotes Tuch zu einer Vulva auf und verschwindet mitsamt ihrem Spiegelbild im See. Eine mögliche Message: Badende Schönheiten sind keine Lockvögel, auch wenn sie so aussehen. Erst seit 2014 besteht „Analogue Eye: Video Art Africa“, das nun im Juni bei den Wiener Festwochen gastiert. Erfinder Brent Meistre schließt an die Tradition des Wanderkinos an:
„Mobile-Drive-in & Pop-up-Cinema“ nennt er seine moderne Version einer magischen Kunst-Art.

Heute hier, morgen weg. Das Kino spielt quasi mit seiner eigenen Form, heute da, morgen schon wieder weg, flüchtig, das gilt für die Bilder wie für den Raum selbst. Zu sehen sind Kurzfilme aus verschiedenen Ländern Afrikas, gegliedert in Programme: „Terra Firma/Terra Nova“ heißt eines, es geht um Herkunft, Raum, „Seeing Self“
ist eine andere Schiene benannt, die Bezeichnung spricht für sich. Grahamstown, Meistres Heimatstadt liegt im Osten Südafrikas, es gibt keine Industrie, nur Schulen, Universitäten. So schmuck der Ort aussieht, um ihn herum herrscht Armut und hohe Arbeitslosigkeit. Meistre hat französische und britische Wurzeln: „Einer meiner Vorfahren war ein illegaler Einwanderer aus Mauritius, der mit dem Boot flüchtete“, erzählt er. An einer kleinen Universität lehrt der zurückhaltende Mann Fotografie und Videokunst. Südafrika hat eine florierende Filmwirtschaft mit Schulen und Finanzierung durch private Konzerne, wobei kommerzielle Filme für den Fremdenverkehr ein wichtiger Bereich sind.

(c) Festwochen/Analogue Eye/Filipe Branquinho

Koloniales Erbe. Für die Sorgen und Nöte der Bevölkerung in dem Land, das mit seiner kolonialen Vergangenheit zu kämpfen hat, mit „einem enormen Gefälle zwischen Arm und Reich“ gibt es wenig Interesse – und die Medien zeigen hauptsächlich negative Perspektiven. Meistre bietet gratis Workshops, die zum Teil durch Subventionen finanziert werden – von Festivals, auf denen die Filme zu sehen sind. Die Idee ist, andere, vielleicht wahrere Bilder von Süd-afrika, von Afrika zu zeigen, dem noch immer „dunklen“ Kontinent, früher ein koloniales Klischee, heute international vor allem präsent durch Revolutionen, Gewaltexzesse à la Boko Haram. Südafrika gehört einerseits zu Afrika, bewohnt von einer multikulturellen Gesellschaft seiner Völker, Schwarzen, Weißen, auch Indern, Asiaten, die eingewandert sind, andererseits existiert das Land „in einer Blase“, einigermaßen abgeschirmt von Afrika, mit starken Verbindungen nach Amerika und Europa. In den großen Städten Südafrikas gibt es Galerien, auch solche, die an großen internationalen Kunstmessen teilnehmen, aber auf dem Land fehlen Distributionswege. Das brachte Meistre auf die Idee mit dem Autokino, das er in seiner Kindheit kennenlernte und das ihn begeisterte: „Es ist ein geselliges Erlebnis, man muss sich nicht ordentlich benehmen wie in einer Galerie, man kann essen, schwätzen, schmusen oder ein Schläfchen halten.“ Sein Pop-up-Cinema heute ist nicht nur mobil, sondern autark, es wird mit Generatoren betrieben. Die Leute, die es betreiben, bildet er selbst in seinen Workshops aus. Leben kann niemand von diesem Kino-Modell, jene, die daran teil-nehmen, müssen froh sein, wenn sie andere Berufe haben wie eben er seinen Job als Lehrer. Meistre hat noch eine dritte Profession: Er dreht zeit- und sozialkritische Spots im Stil von Commercials, aber gegen diese gerichtet: „Stiller Protest“ heißt einer dieser Filme, der auf YouTube zu sehen ist: „Südafrika hat die höchste Pro-Kopf-Rate bei Vergewaltigungen“, „nur eine von neun Vergewaltigungen wird aufgeklärt“, heißt es da. Statt hektischer Bilderflut und Bilderwechsel wie heute in der Filmkunst sieht man Stillstand: zwei Männer in einer gebirgigen Landschaft, eingeblendet in den Kurzfilm ist der Text eines Songs der britischen Indie-Pop-Band Belle & Sebastian: „He raped me in the chalet lines“. Stop Motion heißt das von Meistre verwendete Verfahren aus der Frühzeit des Films, zunächst für alle Filme, dann für Trickfilme verwendet: Einzelbilder erzeugen die Illusion von Bewegung. Er habe keine Sehnsucht nach Hollywoods Blockbustern, sagt Meistre. Es gibt so viele tolle Filme abseits des Mainstream, aber sie „poppen up“ und verschwinden wieder. Wer auf dem Kunstmarkt teilnehmen will, muss ständig präsent sein, medial, in Galerien, Museen. Für die Kreativen von „Analogue Eye“ ist das infolge ihrer prekären Finanzlage und ihrer geografischen Lage an der Peripherie kaum möglich. Man kann die Arbeiten ins Internet stellen, aber das ist auch so eine Art schwarzes Loch im
virtuellen Universum.

(c) Festwochen/Analogue Eye/Filipe Branquinho

Gratis-Festspiele. Immerhin, Meistre schaut als Kurator, dass er die Filme so lang wie möglich in seinem Programm behält. Durch die Initialzündung bei den Wiener Festwochen könnten auch Einladungen aus anderen großen Städten kommen, Paris, New York. In Südafrika ist Meistres Kino bei Festivals recht präsent, im März war er bei Infecting the City in Kapstadt zu Gast, Gratis-Festspielen im Freien im Business-Distrikt der Stadt. Das Festival will die Kultur aus den Theatern und Insti-tutionen heraus und zu den Leuten holen. Er werde sein Modell nicht auf andere Kontinente und Städte ausdehnen, also Impressionen von Amerika oder Europa für Kurzfilme im Drive-in-Kino sammeln, betont der 39-jährige Künstler, aber wer weiß? Was macht er in seiner Freizeit bei der Vorbereitung des Gastspiels in Wien? „Ich suche nach Spuren afrikanischer Kultur in der Stadt und nehme sie auf, es gibt viel davon, zum Beispiel Löwen“, sagt Meistre.

Tipp

Analogue Eye. Drive-in Theatre. Europa-Premiere, Kurzfilme aus Afrika/Südafrika. Einige der Filme kann man im Internet, auf YouTube oder Vimeo sehen.
F 23 Zufahrt bzw. Eingang Drive-in-Theatre, Gastgebgasse 2, 1230 Wien. 3., 5. und 6. 6. www.festwochen.at

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