"Boy 7": Gehirnwäsche in der Erziehungsanstalt

(c) Bernd Spauke
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"Boy 7" ist ärgerlich flach und unlustig. Schade, Regisseur Özgür Yildirim hätte die Geschichte politisch deuten können.

„Ich weiß überhaupt nicht mehr, wie ich heiß'“, sagt Sam (David Kross) am Anfang des Science-Fiction-Thrillers „Boy 7“. Der 19-Jährige ist in einer U-Bahn-Station mit Gedächtnisverlust aufgewacht. Die Polizei ist hinter ihm her, aber er kann flüchten – in ein Burgerlokal, dessen Visitenkarte er in der Hosentasche trägt. Auf der Toilette findet er dort einen Hinweis auf seine Identität: ein verstecktes Notizbuch mit seiner Handschrift. „Ich schreibe das auf für den Fall, dass ich mich wie die anderen an nichts mehr erinnern kann“, heißt es darin. „Ich bin du.“ Er erfährt, dass er in der Tat kriminell ist: Um einem Mädchen zu gefallen, ist der begabte Hacker in den Schulcomputer eingedrungen – und wurde deswegen für drei Monate in das Rehabilitierungsprogramm „Kooperation X“ geschickt. Dieses wirkt zunächst wie ein schickes Ferienlager. „Sie alle haben ein Talent“, sagt Direktor Fredersen (Jörg Hartmann) dort zu den Straftätern. „Bisher haben Sie es negativ genutzt. Hier lernen Sie, es positiv zu nutzen.“ Um aus ihnen nützliche Mitglieder der Gesellschaft zu machen (welcher 19-Jährige träumt nicht davon?), gibt es in der „Kooperation X“ täglich Waldläufe, Waffenspiele und Persönlichkeitstests. Bei diesen muss Sam Fragen beantworten wie „Welche Milchsorte bevorzugst du?“ (seine Antwort: „hocherhitzt“). Der schöne Schein trügt freilich, oder wie es die hübsche Lara, für die Sam schwärmt, formuliert: „Irgend 'ne kranke Scheiße geht hier ab.“

Dieser forcierte Jugendsprech ist so künstlich cool wie der Film insgesamt. Fast zeitgleich zur deutschsprachigen Verfilmung des gleichnamigen Romans von Mirjam Mous entstand auch eine niederländische Version des Films. Zumindest die deutsche wurde völlig entpolitisiert. Dabei ließe sich die Grundgeschichte von „Boy 7“ durchaus gesellschaftskritisch deuten, etwa als Parabel auf reale Gehirnwäscheanstalten wie die Eliteschulen der Nazis: In sogenannten „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten“ wurden aus Jugendlichen hocheffiziente Untertanen geformt. Ebenso ließe sich die Story als moderne Variante von „Die Welle“, Morton Rhues Roman über Gruppenzwang und den heimlichen Faschisten in uns, lesen. Denn auch in „Boy 7“ werden aus Jugendlichen Befehlsempfänger. Um das „Wie“ schummelt sich der Film herum, er findet das Abgründige nicht im Menschen, sondern außerhalb: Den Teenagern wird ein Chip eingepflanzt, der quasi die Persönlichkeit ersetzt.

Ein bisschen Heldengeschichte

So bleibt Regisseur Özgür Yildirims („Blutzbrüdaz“ mit Rapper Sido) Interpretation der Vorlage oberflächlich und lediglich ein lauwarmer Aufguss der jüngsten dystopischen US-Jugendromanverfilmungen. Darüber täuscht auch die rasante Computerspielästhetik, in der die Kamera Sams Perspektive einnimmt, nicht hinweg.

Ein bisschen klassische Heldengeschichte erzählt der Film dann doch: Ein defekter junger Mann muss sich seinen Ängsten stellen, um Heroisches zu vollbringen. Wie schnell Sam sein Trauma ablegt, ist nicht nachfühlbar. Der deutsche Jungstar David Kross, immerhin Hollywood-erprobt („Der Vorleser“ mit Kate Winslet) bleibt – trotz aller Turnübungen durch Actionszenen – seltsam lethargisch und erstaunlich begriffsstutzig. Lediglich Nachwuchsschauspielerin Liv Lisa Fries vermag im Zuseher Empathie für ihre Figur, die Hackerin Safira, zu wecken.

Als Happy End wartet eine Horde Journalisten auf Sam. Ist Ruhm also das, wonach Jugendliche streben? Auch darauf gibt „Boy 7“ keine Antwort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2015)

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