Scharang über Jack Unterweger: "Wie ein blauer Baum"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sollte man Petitionen prüfen, bevor man sie unterschreibt? Können Kontrollfreaks lieben? Elisabeth Scharang erklärt ihren neuen Film, „Jack.“

Die Presse: Was hat Sie an dem Projekt Jack Unterweger gereizt – die Figur, eine Frage?

Elisabeth Scharang: Der Fall, nicht die Figur. Wäre Jack Unterweger nicht wegen elffachen Mords angeklagt worden, wäre er längst vergessen. Ich habe lang gebraucht, um die Geschichte für den Film zu finden. Für mich beginnt sie mit dem Mord 1974 und der Frage, wie man mit der Schuld umgeht, jemandem das Leben genommen zu haben. Aber es geht auch um falsch verstandene Loyalität und die Sucht nach Liebe und Anerkennung des Publikums, die einen verbrennen kann. Das Ergebnis ist ein Jack, den ich kenne, aber es ist nicht der Jack von damals.

Sie haben mehrfach betont, dass Sie sich nicht entscheiden wollen, ob der historische Jack schuldig ist ...

Darüber müssen wir reden. Ich finde es nämlich interessant, dass das alle Journalisten schreiben. Tatsächlich habe ich eine sehr klare Haltung dazu.

Im Zweifel für den Angeklagten.

Genau. Ich weiß einfach nicht, ob er schuldig ist. Alles andere wäre anmaßend.

Müssen Sie als Regisseurin nicht wissen, ob Ihr Film-Jack schuldig ist?

Ich bin da anders als Johannes Krisch (Anm. Hauptdarsteller), der musste es für sich klären. Aber er sagt es keinem, und ich frage ihn auch nicht. Mich hat Jack Unterweger ja weniger als Person, sondern mehr als Projektionsfläche, als Medienphänomen interessiert.

Ich finde, der Film plädiert für seine Unschuld.

Das Publikum spaltet sich in der Frage bisher halbe-halbe.

Eine wichtige Rolle spielt die Journalistin, die der realen Margit Haas nachempfunden ist. Eine unsympathische Figur. Erst überredet sie Unterweger zu Rotlichtreportagen, dann ist sie die Erste, die über den Verdacht gegen ihn schreibt. War das so, oder ist das Ihre Medienkritik?

Natürlich ist es überzeichnet, wobei die Margit schon gewusst hat, wie sie von ihrer Freundschaft mit Jack Unterweger profitiert. Im Film stoßen da zwei Spielernaturen aufeinander – da gibt es keine Loyalität. Ich frage mich beim Zeitungslesen ja oft, ob Journalisten nachdenken, welche Konsequenzen das, was sie schreiben, für die Person hat, über die sie schreiben. Und ja, ich glaube, dass viele Journalisten unsauber arbeiten – oft, weil ihnen die Zeit fehlt. Denn anders kann ich mir nicht erklären, dass noch immer geschrieben wird, dass alle Opfer mit einem BH und immer demselben Knoten erdrosselt wurden. Das stimmt nicht.

Wer im Film fehlt, sind die Intellektuellen, die sich für Unterwegers Freilassung eingesetzt haben.

Denen ging es weniger um Jack Unterweger als um eine Reform des Strafvollzuges.

Sie kennen Elfriede Jelinek. Auch sie hat sich für ihn eingesetzt. Haben Sie je mit ihr darüber geredet?

Nein.

Sie wurde unlängst im „News“ mit dem Satz zitiert: „Herausgeholt haben ihn der Herr Gefängnisdirektor und der Psychiater. Nicht wir.“ Klingt nach Rechtfertigung.

Sie hat damit eine Verantwortung zurückgewiesen, die sie nicht hat. Ich weiß nicht, wie viele Online-Petitionen ich in den vergangenen Jahren unterschrieben habe, z. B. für einen Blogger aus Saudiarabien, von dem habe ich nie etwas gelesen. Vielleicht ist er ein Antisemit? Ich weiß es nicht; vielleicht ein Fehler.

Wäre so eine Art Personenkomitee für einen künstlerisch begabten Mörder heutzutage denkbar?

Ich hoffe. Jack Unterweger hat im Gefängnis große Disziplin gezeigt. Er hat die Hauptschule nachgemacht, eine Literaturzeitschrift gegründet. Das ist keine schlechte Voraussetzung für eine Resozialisierung.

Der Film kreist um die Beziehung zu seiner Mutter – sie ist Ursache für sein problematisches Verhältnis zu Frauen. Glauben Sie das? Oder ist das der Dramaturgie geschuldet?

Seine Mutter war eine Bardame, aber keine Prostituierte, wie er selbst geschrieben hat. Tatsächlich ist offen, ob die Geschichten über seine Jugend stimmen. Es hat sich nie jemand die Mühe gemacht, das zu recherchieren. Vielleicht hat er nur geschrieben, was er dachte, dass die Leute hören wollen.

Auch im Film fungiert die kaputte Jugend als Erklärung.

Was man verstehen muss, ist: Kontrollfreaks wie Jack Unterweger können niemandem vertrauen. Das bewirkt aber, dass sie sich nichts mehr wünschen als Liebe. Doch Kontrolle und Liebe schließen sich aus.

Sie haben sich mit vielen Frauen unterhalten, die eine Beziehung mit Unterweger hatten. Können Sie nachvollziehen, was sie angezogen hat?

Ich fürchte, dazu kann man nur Plattheiten sagen.

Dann frage ich anders: Glauben Sie, dass ihn eine wirklich geliebt hat?

Nein, das glaube ich nicht. Ich würde es ihm und den Frauen zwar wünschen, aber er war eben selten er selbst. Er hat jeder das angeboten, was sie wollte. Aber ich möchte auf etwas zurückkommen, was Sie vorher gesagt haben: nämlich dass Jack Unterweger eine problematische Beziehung zu Frauen hatte. Wie kommen Sie darauf?

Na ja, er hat sie umgebracht – sicher eine, möglicherweise viele.

Aber was ist mit den 300 Frauen, mit denen er Beziehungen hatte und von denen keine einzige gegen ihn ausgesagt hat? Ich glaube, Frauen waren einfach sein Lebensthema. Ich hatte sogar einmal eine Drehbuchversion, in der sieben Frauen aus Jack Unterwegers Leben nach seinem Tod in seine Wohnung geholt werden, um sie zu räumen. In diesem Film wäre Jack Unterweger selbst nie vorgekommen.

Sie sind Unterweger für Radioreportagen begegnet. Sie haben in einem ORF-Interview sehr witzig den Gegensatz zwischen seiner Beamtenfrisur und dem Zuhälter-Outfit beschrieben. Wie war Ihr Eindruck?

Sehr bieder oben, sehr verwegen unten, könnte man sagen. Er war ein zarter Mann, fast androgyn. Aber wenn er da so stand in seinem weißen Anzug, war er ein Statement. Nicht gut, nicht schlecht, einfach da. Wie ein blauer Baum. Da schaut man hin.

Unterweger galt als manipulativ. Hatten Sie bei Ihren Gesprächen das Gefühl, beeinflusst zu werden?

Ich war damals zu jung, um so etwas irgendwem zu unterstellen. Aber als ich das erste Mal Margit Haas getroffen habe, hat sie gesagt: Ja, der Jack hat mir eh schon von dir erzählt. Das fand ich spooky. Er hatte ein sehr gutes Personengedächtnis und hat Buch über seine Begegnungen geführt: Wen er wie einschätzt, wer nützlich sein kann.

Wie hat er Sie denn eingeschätzt?

Er hielt mich offenbar für vertrauenswürdig. Als er im Gefängnis war, hat mich Astrid Wagner (Anm.: Rechtsanwältin und seine damalige Freundin) in seinem Namen angeschrieben und gefragt, ob ich ihm irgendwie helfen kann. Mich hat das damals aber überfordert. Ich habe nicht geantwortet.

Im Film gibt es ein wiederkehrendes Motiv: den Wald. Wofür steht er?

Der Wald ist das, was bleibt. Vor Unterweger, nach Unterweger, nach Ihnen, nach mir. Es gibt dort kein Gut und kein Schlecht. Er urteilt nicht. Dem Wald ist es egal, ob die Sonne scheint oder ob dort eine Leiche liegt.

ZUR PERSON & ZUM FILM

Elisabeth Scharang, geboren 1969, arbeitet als Drehbuchautorin, Filmemacherin und Radiomoderatorin in Wien.

„Jack“, ihr neuer Film, der heute, Freitag, startet, dreht sich um das Leben des „Häfenpoeten“, Jack Unterweger. Unterweger wurde 1976 für Mord verurteilt, 1990 auf Bewährung entlassen und dann erneut wegen elffachen Frauenmords angeklagt und in neun Fällen verurteilt. Unterweger beging Suizid, das Urteil wurde nie rechtskräftig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2015)

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