Venedig-Sieger: Liebe ist kälter als der Tod

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Warum der Goldene Löwe für Lorenzo Vigas' Männerliebe-Film „From Afar“ viele überraschte.

Erstmals in der Geschichte der Filmfestspiele von Venedig ging der Goldene Löwe an einen lateinamerikanischen Beitrag, „From Afar“ („Desde Allá“) aus Venezuela. Die Auszeichnung des spröden Langspielfilmdebuts von Lorenzo Vigas kam überraschend. Seine solide Inszenierung stellte „From Afar“ zwar über etliche Wettbewerbsbeiträge, deren ästhetische Anspruchslosigkeit frappierend war, aber im Vergleich zu den Highlights bewegt sich der Film formal wie inhaltlich auf bekanntem Terrain. Armando, ein betuchter und alleinstehender Zahnprothetiker aus Caracas (meisterlich verkniffen gespielt vom renommierten chilenischen Mimen und Theatermacher Alfredo Castro), bezahlt junge Männer für sexuelle Dienste: Halbnackt drehen sie ihm den Rücken zu, während er sich befriedigt.

Einem seiner „Gäste“ kommt er dennoch zu nahe: Der brüske Eldar (dringlich: Debütant Luis Silva) schlägt den alten „maricón“ bewusstlos und flieht mit dessen Geld. Typisch für diese Art von Erzählung über passiv-aggressive Annäherung wird Eldar von seinem Opfer erneut aufgesucht, eine Beziehung bahnt sich an. „From Afar“ erfüllt alle zeitgenössischen Qualitätskinostandards. In seidig-bleichen, präzise kadrierten Breitwandeinstellungen vor naturalistischen Kulissen verschwimmt Armandos Umwelt zunächst in bewusst gesetzten Unschärfen.

Malersohn und Dokumentarist

Die psychische Wurzel seiner Gefühlsstarre wird bloß angedeutet. Als Armando von der Rückkehr seines Vaters in die Hauptstadt erfährt, lässt die Wut in seinen Augen jedoch einige Schlüsse zu. Klassenklüfte (Eldar arbeitet in einer Autowerkstatt) und emotionale Hemmschwellen werden über schroffe Gesten überwunden – auch Zärtlichkeit erscheint hier als Gewalt, und am Ende ist Armandos Liebe kälter als der Tod.

Als Entdeckung wurde Regisseur Vigas gehandelt. Er ist aber schon 47. Der Sohn eines arrivierten Malers hat viel Kurz- und Dokumentarfilmerfahrung, sein Film wurde von südamerikanischen Industriegrößen koproduziert. Die Drehbuchidee stammt vom preisgekrönten Autor Guillermo Arriaga („21 Grams“).

Bei der Pressekonferenz nach der Verleihung am Samstag wurde Jurypräsident Alfonso Cuarón gefragt, ob seine mexikanische Herkunft etwas mit der Preisverteilung zu tun hatte. Die wichtigste Regietrophäe ging an den Argentinier Pablo Trapero. Darauf konnte Cuarón nur lachen: „Ich habe hier in etwa so viel Einfluss wie der König von Schweden!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2015)

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