Radikale Kunst im Film: Chantal Akerman ist tot

Chantal Akerman.
Chantal Akerman.(c) AFP (GIUSEPPE CACACE)
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Die belgische Regisseurin ging als Zentralkünstlerin des Feminismus in die Filmgeschichte ein.

Es gibt wohl kaum ein radikaleres Werk über die potenzielle Monotonie des Daseins als „Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles“ (1975) von Chantal Akerman, die am Dienstag im Alter von 65 Jahren verstorben ist. Über drei Stunden lang folgt der minimalistische Monumentalspielfilm einer alleinerziehenden Mutter bei ihren Alltagsroutinen – Kochen und Prostitution. Das frühe Magnum Opus der belgischen Regisseurin schrieb sie als Zentralkünstlerin des Feminismus in die Filmgeschichte ein.

Doch ihr vielfältiges, mehr als 45 Arbeiten umfassendes Schaffen entzieht sich reduktiven Labels. 1950 wurde Akerman in Brüssel als Tochter polnisch-jüdischer Emigranten geboren. Die Beziehung zur Mutter, einer Auschwitz-Überlebenden, prägte ihr Œuvre nachhaltig – der letzte Film, „No Home Movie“, der heuer in Locarno Premiere hatte, ist eine dokumentarische Meditation über dieses Verhältnis. Persönlich und experimentell war Chantal Akermans Kunst von Anfang an. Ihr finanziell oft desolates Leben in Paris und New York, die Avantgarde und intellektuelle Kultur dieser Metropolen formten ihre künstlerische Haltung. Viele ihrer frühen Arbeiten verhandeln die Einsamkeit und soziale Entfremdung, aber auch die paradoxen Freiheiten urbaner Bohème in spröder, sehnsuchtsvoller Ästhetik.

In den Achtzigern machte Akerman mit ungewöhnlichen Spielfilmen wie dem mosaikartigen Nachtstück „Toute une Nuit“ und dem Musical „Golden Eighties“ auf sich aufmerksam, aber auch mit „Histoires d'Amérique“, einem Porträt jüdischer Exilanten in Amerika, zugleich einer Auslotung ihrer Identität als Mensch und Künstlerin. 1993 drehte sie den Reisefilm „D'Est“, eine feinfühlige Tour durch das postkommunistische Russland, 2006 beeindruckte ihre Proust-Adaption „La captive“. Politische Statements lagen ihr fern, aber ihre Positionierung gegen das Establishment (mit Sätzen wie „Macht hat keine Seele“) war stets unmissverständlich. Die Unabhängigkeit ihrer Regiearbeiten wahrte sie bis zuletzt mit Lehraufträgen und Kunstprojekten, eine ihrer Installationen ist derzeit immer noch bei der Biennale in Venedig ausgestellt. [ AFP] (and)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2015)

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