Viennale: "So viel Film war noch nie"

Szenenbild aus ''Einer von uns''
Szenenbild aus ''Einer von uns''(c) Viennale
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Heuer wurde das Viennale-Programm früher vorgestellt, das Filmfestival läuft außerdem erneut einen Tag länger. Einen Schwerpunkt gibt es zu Griechenland.

Heuer gibt es das Viennale-Programm früher als in den vergangenen Jahren: Zwei Wochen vor Start hat Direktor Hans Hurch am Freitag die 53. Festivalausgabe, die vom 22. Oktober bis zum 5. November läuft, vorgestellt. Der Vorverkauf startet am 17. Oktober. Die zusätzliche Zeit, die Besucher zum Studium des Programms gewinnen, sei nötiger denn je. "Denn so viel Film war noch nie", sagte Hurch. Vor allem die Spezialprogramme wurden erweitert.

Durch den früheren Termin musste Hurch vom Gartenbaukino ins Metro Kinokulturhaus ausweichen. Zudem bestritt der die Pressekonferenz zum Filmfestival heuer alleine: Neben Filmmuseums-Direktor Alexander Horwath war auch Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) verhindert. "Der Stadtrat führt, was Sie nicht wundern wird, Wahlkampf", sagte Hurch. Er wünschte sich, dass Mailath "mindestens noch so lange im Amt ist wie ich" - sprich: bis 2018.

Wieder einen Tag länger

Gut angekommen sei im Vorjahr die Verlängerung des Festivals um einen Tag. Diese wird daher beibehalten, "weil wir festgestellt haben, dass das das Programm entspannt und entzerrt", sagte Hurch.

Auch heuer wird mit Gewohnheiten gebrochen: Habe die Viennale bisher davon abgesehen, im Programm "anlassbezogen auf politische Entwicklungen unmittelbar" zu reagieren, so gibt es heuer gleich zwei brandaktuelle Filmprogramme. Unter dem Titel "Griechenland - Noch einmal mit Gefühl" wird anhand griechischer Werke der vergangenen zehn Jahre die Frage gestellt, "wie das Kino über die ökonomische, politische und gesellschaftliche Entwicklung eines Landes" erzählen kann.

Weiters wurde der 26. Oktober "ein bisschen keck" zum "Internationalfeiertag" erklärt: Im Gartenbaukino ist eine Auswahl an Filmen zu sehen, die sich mit den Fragen von Flucht, Migration und Asyl beschäftigen. Der Reinerlös geht an Volkshilfe und Caritas zur Unterstützung der Flüchtlingsarbeit. Neben frühen Charlie-Chaplin-Kurzfilmen wie "The Immigrant" oder Elia Kazans Auswandererepos "America America" feiern zwei aktuelle österreichische Arbeiten ihre Österreich-Premiere: Jakob Brossmanns Vor-Ort-Reportage "Lampedusa im Winter" sowie Gerald Igor Hauzenbergers Dokumentation der Votivkirchen-Besetzung und deren Nachwehen, "Last Shelter".

Der österreichische Film ist mit sieben Lang- und zahlreichen Kurzfilmen generell stark vertreten, vor allem im Doku-Bereich. Dem einzigen österreichischen Langspielfilm im Programm liegen wahre Begebenheiten zugrunde: Stephan Richter arbeitet mit "Einer von uns" den Tod eines 14-jährigen Einbrechers in einem Kremser Supermarkt durch die Schüsse eines Polizisten "sehr unspektakulär, genau und auf feine Weise" auf, ohne "Kapital aus dieser Geschichte zu schlagen", so Hurch. In einem eigenen heimischen Kurzfilmprogramm ist dann u.a. der in Cannes uraufgeführte Found-Footage-Film "The Exquisite Corpus" von Peter Tscherkassky erstmals in Österreich zu sehen.

90 Spiel- und 73 Dokumentarfilme

Mit 90 Spiel- und 73 Dokumentarfilmen ist das Verhältnis im Hauptprogramm so ausgeglichen wie noch nie. Hier wie dort stößt man auf Perlen der vergangenen A-Festival-Saison und neue Werke namhafter Regisseure wie Woody Allen, Nanni Moretti, Arnaud Desplechin oder Frederick Wiseman.

"Geglückt" ist es auch, mit "Rabin, the Last Day" von Amos Gitai, "Spotlight" von Thomas McCarthy, "Francofonia" von Aleksander Sokurov und "Anomalisa" von Charlie Kaufman und Duke Johnson große Beiträge der Filmfestspiele Venedig für die Viennale zu gewinnen - "was nicht so leicht ist, weil Venedig kurz vor unserer Deadline endet", so Hurch.

Letzterer, der Stop-Motion-Film "Anomalisa", bildet dann auch den Schlusspunkt des Festivals, das am 22. Oktober mit Todd Haynes' Melodram "Carol" mit Cate Blanchett und Rooney Mara beginnt.

Tippi Hedren bei "Marnie"-Screening

Neben den beiden Galaveranstaltungen ist nur ein weiterer Galaabend geplant: Die heute 85-jährige einstige Hitchcock-Darstellerin Tippi Hedren wohnt anlässlich einer ihr gewidmeten Hommage am 29. Oktober im Gartenbaukino einem Screening von "Marnie" bei und präsentiert am Folgetag im Filmmuseum "Die Vögel" im Rahmen der großen Viennale-Retrospektive "Animals. Eine kleine Zoologie des Kinos" (16.10. bis 30.11.).

Eine weitere, über die Festivaldauer hinausgehende Retrospektive beginnt bereits am Freitag: Mit der Filmarchiv-Schau "Austrian Pulp" (bis 6. November) über das österreichische Genre-Kino wächst das Festival nicht zuletzt an. Andere Specials und Tributes sind u.a. dem argentinischen Filmemacher Raul Perrone, dem 106-jährig verstorbenen Portugiesen Manoel de Oliveira und der Hollywood-Filmemacherin Ida Lupino gewidmet. Und im Hauptprogramm kristallisieren sich einmal mehr Schwerpunkte heraus, neben traditionell präsenten Musik- und Porträtdokus etwa eine Reihe neuer rumänischer Arbeiten sowie Filme, die sich - durchaus auch kritisch - mit Israel auseinandersetzen.

Über das Filmprogramm hinaus wird ins Festivalzentrum in die Alte Post geladen, wo Hurch heuer erstmals als "DJ Ohannes" auftritt und Viennale-Präsident Eric Pleskow von seiner langen, erfolgreichen Hollywoodkarriere erzählen wird. Nach drei Jahren Pause wird der 91-Jährige wieder die Viennale beehren - was bei dem hohen Alter "keine Selbstverständlichkeit" ist, sagte Hurch: "Wenn mich jemand fragen würde, wer der diesjährige Star der Viennale ist, würde ich sagen: Das ist unser lieber Präsident Eric Pleskow."

Überblick: Die prominentesten Filme bei der Viennale

Mit Ausnahme von Hedren geht auch diese Viennale wie im Vorjahr ohne veritable Stargäste und Galaabende über die Bühne. Die großen Namen lassen sich aber im Festivalprogramm finden:

SPIELFILME

99 Homes

Ramin Bahrani (USA)

Mit Andrew Garfield, Michael Shannon

A Most Violent Year

J.C. Chandor (USA/Vereinigte Arabische Emirate)

Mit Oscar Isaac, Jessica Chastain

Anomalisa

Charlie Kaufman, Duke Johnson (USA)

Großer Preis der Jury in Venedig

Arabian Nights - Volume 1, 2, 3

Miguel Gomes (Portugal u.a.)

Mit Crista Alfaiate, Luisa Cruz

Carol

Todd Haynes (USA)

Viennale-Eröffnungsfilm mit Rooney Mara, Cate Blanchett

Chevalier

Athina Rachel Tsangari (Griechenland)

Locarno-Wettbewerbsbeitrag mit Yorgos Kentros, Panos Koronis

Dheepan

Jacques Audiard (Frankreich)

Gewinner der Goldenen Palme von Cannes 2015

The Diary of a Teenage Girl

Marielle Heller (USA)

Mit Alexander Skarsgard, Kristen Wiig, Bel Powley

Einer von uns

Stephan Richter (Österreich)

Mit Andreas Lust, Jack Hofer, Simon Morzé

The End of the Tour

James Ponsoldt (USA)

Mit Jesse Eisenberg, Jason Segel

Experimenter

Michael Almereyda (USA)

Mit Peter Sarsgaard, Winona Ryder

Francofonia

Aleksander Sokurov (Frankreich/D/NL)

Venedig-Wettbewerbsbeitrag mit u.a. Benjamin Utzerath

Irrational Man

Woody Allen (USA)

Mit Joaquin Phoenix, Emma Stone

The Lobster

Yorgos Lanthimos (Irland u.a.)

Cannes-Wettbewerbsbeitrag mit Colin Farrell, Rachel Weisz

Me and Earl and the Dying Girl

Alfonso Gomez-Rejon (USA)

Großer Preis der Jury und Publikumspreis beim Sundance Film Festival; mit Thomas Mann, Olivia Cooke

Mia Madre

Nanni Moretti (Italien/Frankreich)

Cannes-Wettbewerbsbeitrag mit John Turturro

Queen of Earth

Alex Ross Perry (USA)

Mit Elisabeth Moss, Katherine Waterston

Rabin, The Last Day

Amos Gitai (Israel u.a.)

Venedig-Wettbewerbsbeitrag mit u.a. Yitzhak Hiskiya

Results

Andrew Bujalski (USA)

Mit Cobie Smulders, Guy Pearce

Right Now, Wrong Then

Hong Sangsoo (Südkorea)

Gewinner des Goldenen Leoparden von Locarno 2015

Sangue del mio Sangue (Blood of my Blood)

Marco Bellocchio (Italien)

Venedig-Wettbewerbsbeitrag mit Alba Rohrwacher, Roberto Herlitzka

Spotlight

Thomas McCarthy (USA)

Mit Michael Keaton, Mark Ruffalo, Rachel McAdams

Trois souvenirs de ma jeunesse (My Golden Days)

Arnaud Desplechin (Frankreich)

Mit Mathieu Amalric, Quentin Dolmaire

Valley of Love

Guillaume Nicloux (Frankreich)

Cannes-Wettbewerbsbeitrag mit Gerard Depardieu, Isabelle Huppert

DOKUMENTARFILME

Behind Jim Jarmusch & Travelling at night with Jim Jarmusch

Lea Rinaldi (Frankreich)

Claude Lanzmann: Spectres of the Shoah

Adam Benzine (Großbritannien)

Heart of a Dog

Laurie Anderson (USA)

In Jackson Heights

Frederick Wiseman (USA)

In Transit

Albert Maysles u.a. (USA)

Janis: Little Girl Blue

Amy Berg (USA)

Jia Zhangke, a guy from Fenyang

Walter Salles (Brasilien/China)

Lampedusa im Winter

Jakob Brossmann (Österreich)

Last Shelter

Gerald Igor Hauzenberger (Österreich)

The Look of Silence

Joshua Oppenheimer (Dänemark u.a.)

No Home Movie

Chantal Akerman (Belgien/Frankreich)

Seit die Welt Welt ist

Günter Schwaiger (Österreich)

Theodore Bikel: In the shoes of Sholom Aleichem

John Lollos (USA)

Visita ou memorias e confissoes

Manoel de Oliveira (Portugal)

Überblick: Die Spezialprogramme:

Tribute an Tippi Hedren

Im Filmgeschäft ist Tippi Hedren nicht mehr aktiv, die Kinogeschichte aber hat sie als Schauspielerin mitgeprägt: Hedren, 1930 in New Ulm (Minnesota) unter dem Vornamen Nathalie Kay mit europäischen Wurzeln geboren, begann ihre Karriere als Model, bevor Hitchcock sie entdeckte und für sein Meisterwerk "Die Vögel" (1962) besetzte. Zwei Jahre später wusste sie als geheimnisvolle "Marnie" im gleichnamigen Psychodrama nicht weniger zu überzeugen, zerstritt sich aber mit dem Regiemeister, der eine weitere Karriere seiner Muse verunmöglichte. Bei der Viennale stellt die heute 85-jährige Tierrechtsaktivistin im Rahmen einer Hommage beide Hitchcock-Klassiker persönlich vor.

Tribute an Raul Perrone

"Der Mann aus Ituzaingo" heißt das Tribute an den argentinischen Filmemacher Raul Perrone, und das kommt nicht von ungefähr: Der "Vater" des argentinischen Independent-Kinos drehte fast alle seiner mehr als 40 Filme in und über Ituzaingo, seiner nahe Buenos Aires gelegenen Heimatstadt. War eine erste Werkphase naturalistisch geprägt, fallen seine späteren Werke experimenteller aus. Sein Anspruch, so schreibt die Viennale: "Kino als Alltäglichkeit, Filmemachen als Suchen nach einer eigensinnigen, fast intimen Form von Poesie." Am Ziel Wien jedoch scheint Perrone wegen seiner Flugangst doch noch zu scheitern: An seiner Stelle reist der Produzent seines neuesten Films, "Hierba", Pablo Ratto an.

Tribute an Manoel de Oliveira

Noch im Vorjahr hat er der Viennale mit "Chafariz das Virtudes" ihren traditionellen Trailer geschenkt, heuer starb der große Regisseur Manoel de Oliveira im stolzen Alter von 106 Jahren. Sein portugiesischer Kollege Pedro Costa präsentiert nun unter dem Titel "How Green Was My Valley" eine persönliche Auswahl an Werken aus de Oliveiras mehr als acht Jahrzehnte umspannendem Schaffen.

In Focus: Federico Veiroj

Festivaldirektor Hans Hurch sagt ihm eine große Zukunft voraus: 1976 in Montevideo (Uruguay) geboren, begann Federico Veiroj seine filmische Arbeit mit Anfang 30. Sein erster Langspielfilm "Acné" wurde 2008 sogleich bei den Filmfestspielen von Cannes in der "Quinzaine des realisateurs" ausgezeichnet, es folgten "La vida util" und heuer die "post-katholische Farce" "El apostata". Die Viennale lädt mit den drei Spielfilmen sowie einem Kurzfilmprogramm ein, das von Melancholie und Komödie geprägte Werk des jungen Filmemachers zu entdecken.

Special Program: Griechenland

Griechenland ist mehr als nur die Krise, in der es sich befindet. Und mit dem griechischen Kino ist das nicht anders. Mit ausgewählten Beiträgen von 2005 bis 2015 will Vassily Bourikas, Kurator u.a. des Thessaloniki International Filmfestivals, vor Augen führen, dass ein breites Spektrum griechischer Filme es vermögen, "sich mit allen möglichen Themen und Formen zu befassen und jeder Kategorisierung zu trotzen". Auf internationalen Filmfestivals vertretene Regisseure wie Yannis Economides und Yannis Fagras sind ebenso vertreten wie unbekanntere Namen.

Special Program: The 3Rs

Die traditionelle Reihe kleinerer Personalen versammelt heuer unter dem Titel "The 3 Rs" Protagonisten des unabhängigen kurzen Kinos, deren Verbindungen sich ein "geistig reges bzw. emotional reifes bzw. rücksichtsvolles Publikum" selbst erarbeiten soll, fordert die Viennale. Aus den USA werden Filmessayist Mark Rappaport und seine verstorbene Landsfrau Anne Charlotte Robertson gewürdigt, aus Frankreich reist der Franzose Jean-Claude Rousseau an.

Hard, Fast and Beautiful: Ida Lupino

Die gewohnt männerlastige Reihe an Spezialprogrammen wertet Ida Lupino (1918-1995) deutlich auf: In den 50er-Jahren etablierte sich die Tochter eines Künstlerpaares als eine der ersten Regisseurinnen und Produzentinnen Hollywoods. Mit ihrem Status als Filmstar nach Warner-Filmen wie "High Sierra" unzufrieden, gründete die gebürtige Britin ihre eigene Produktionsfirma und drehte sechs B-Filme, ehe sie zum Fernsehen wechselte. Aus dieser Zeit zeigt die Viennale "What beckoning ghost?" (1961) aus der NBC-Serie "Thriller". Und auch "Not Wanted" (1949) trägt ihre Handschrift - sprang Lupino doch einst für den erkrankten Clifton am Regiestuhl ein.

Austrian Pulp: Genre-Kino aus Wien und anderswo

Mit dem unerhörten, etwas anderen österreichischen Kino wird das neu eröffnete Metro Kinokulturhaus in der Wiener Innenstadt gehörig eingeweiht: Genre-Kino, "angereichert mit den großen Geschmacksverstärkern Sex, Sleaze und Nacktheit, Grusel, Gewalt und Niedertracht", verspricht Kurator Paul Poet, und zeigt 54 Filme aus dem Horror-, Splatter-, Porno- und Actiongenre, die aber dennoch in keine Schublade passen. Eröffnet wird die Reihe des Filmarchivs Austria mit der restaurierten Erstaufführung des Genre-Klassikers "Geissel des Fleisches" (1965) von Eddy Saller. 14 der insgesamt 41 abendfüllenden Programme sind im Rahmen der Viennale zu sehen.

(APA)

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