Bond bleibt relevant, dieser Film ist es eher nicht

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Daniel Craig wirkt lässig, Christoph Waltz diabolisch sanft, doch die Actionszenen in »Spectre« enttäuschen. Man fragt sich, wo die 300 Millionen Dollar Budget wirklich hingeflossen sind.

Jetzt hat es also auch ihn erwischt: In Zeiten der allgegenwärtigen Überwachung und des unheimlichen Informationsflusses zwischen Geheimdienstagenturen ist selbst James Bond, virile Ikone der altmodischen Spionagewelt, von der Abschaffung bedroht. „The dead are alive“ liest man auf schwarzem Hintergrund, bevor Sam Mendes' zweite „Bond“-Arbeit, „Spectre“, mit einem angemessen spektakulären Prolog beginnt: Während des traditionellen mexikanischen Totentags folgt man 007, das Gesicht von einer Schädelmaske verhüllt, durch die Menschenmassen in ein Gebäude, in ein Zimmer, durch ein Fenster, über Häuserdächer hinweg, bis er sein Ziel anvisiert hat. Bond soll den Gauner Marco Sciarra ausschalten, der sich glücklicherweise aber ohnehin hinter einem gewaltigen Glasfenster aufstellt und damit zum Abschuss freigibt.


Botschaft aus dem Jenseits. Interessanter als der folgende Schusswechsel inklusive Hauseinsturz ist allerdings, dass der Agent den Auftrag posthum und damit inoffiziell von Dame Judi Denchs M via Internetvideobotschaft erhalten hat. Das Motiv der lebenden Toten, der Vergangenen, die das Gegenwärtige immer noch bestimmen, wird als einer der Leitfäden im Drehbuch deutlich. Und er führt direkt zu Christoph Waltz: Wie eine Spinne hockt er im Zentrum von Spectre, einer internationalen Verbrecherorganisation, die nichts weniger als die Weltherrschaft anstrebt. Und die ist zum Greifen nah, sollte das von Regierungsmitglied Max Denbigh (Andrew Scott) orchestrierte Programm zur weltweiten Vernetzung von Geheimdiensten in Kraft treten. Die Doppelnull-Agenten wären damit Geschichte, ersetzt durch lückenlose Überwachung, unablässigen Datenfluss und massiven Drohneneinsatz. So einfach lässt sich der Superagent als Popkulturphänomen aber nicht absägen. In „Spectre“ kämpft Bond auch um seine eigene Relevanz im Weltenlauf. Dies diskutiert gleichzeitig die Verspannungen einer Filmreihe, die sich jahrzehntelang standhaft gegen Erneuerungs- und Modernisierungsversuche gesperrt hat.


Blessuren. Erst mit der Ablöse des aus heutiger Sicht schmalzigen Pierce Brosnan durch den kantigeren, lässigeren Daniel Craig wurden die Bondismen mit zeitgeistigeren Inszenierungen quergeschlossen. Der Erfolg der „Bourne“-Filmreihe mit ihrem Wackelkamera-Verismus führte gleich bei „Casino Royale“ zu mehr Unmittelbarkeit in der Action und größerer Fallhöhe bei der Hauptfigur: Bonds Abenteuer im neuen Jahrtausend strahlten in sein Privatleben hinein, gleichzeitig trug er immer deutlichere Blessuren davon. „Spectre“ trägt den Mythos aber nicht ab, sondern polt ihn mit neuen biografischen Versatzstücken in gewisser Weise um. Zu dieser Strategie des „Retconning“, des Abänderns von etablierten Fakten in einem fiktiven Universum, passt die Wiedereinführung eines der populärsten Bösewichte der „Bond“-Reihe.

Franz Oberhauser alias Ernst Stavro Blofeld, in „Spectre“ mit diabolischer Sanftheit von Christoph Waltz gespielt, war zuvor schon in drei Filmen der Gegenspieler des britischen Geheimagenten und in einigen weiteren als Drahtzieher erkennbar. Glatze hat er in seiner aktuellen Inkarnation zwar keine mehr, die weiße Katze, die zu seinem häufig parodierten Markenzeichen geworden ist, streichelt er aber weiterhin. Als Bonds Nemesis und „author of all your pain“ besitzt die Figur in Sam Mendes‘ Entwurf zu wenig Gravitas, um für sich genommen wirklich erinnerungswürdig zu sein. Allerdings liefert ihre Präsenz, unterfüttert von einer Erklärung, wie genau er Craigs Bond von Anfang an manipuliert und beobachtet hat, der Filmreihe ein dramaturgisches Element, das in der heutigen Blockbuster-Landschaft so gut wie obligatorisch geworden ist.

James Bonds Abenteuer standen für gewöhnlich für sich allein: Zwar waren da ab und zu Schurken wie eben Blofeld oder, besonders würdig, Richard Kiehls „Beißer“, die ein Dacapo gaben, allerdings nie unter den Vorzeichen, dass ein Handlungsbogen die einzelnen Auftritte erzählerisch verbinden würde – mit Ausnahme des Rachemotivs. Mittlerweile errichten sämtliche Filmreihen mythologische Universen mit abgesteckten Etappenzielen. „Spectre“ führt rückwirkend die Craig-„Bond“-Filme der Blofeld-Welt zu, ganz so, als hätte es von Anfang an einen dramaturgischen Masterplan dafür gegeben. Schon in der Titelsequenz symbolisiert ein tiefschwarz glänzender Kraken als „Spectre“-Maskottchen eine Art von Zentralintelligenz: Seine Arme führen jeweils zu Ausschnitten aus früheren Bond-Filmen und stellen die Behauptung auf, dass alles von „Casino Royale“ hin zu „Ein Quantum Trost“ eben auf dieses eine Ereignis, die erste Konfrontation zwischen Craigs Bond und Waltz‘ Blofeld, hinführen sollte. Dass dem wirklich so ist, darf bezweifelt werden.


Seelenlos. Denn „Spectre“ ist zwar ein ganz tauglicher „Bond“-Film geworden, aber ein historischer Markstein oder Höhepunkt für die Reihe ist er nicht. Sam Mendes inszeniert atmosphärisch dicht, aber seelenlos: Tiefpunkt des Films ist Bonds kurze Begegnung mit Monica Bellucci, die aufgrund des schlechten Schauspiels und des grausamen Dialogbuchs fast parodistische Züge annimmt. Immerhin stimmt aber die Chemie zwischen Daniel Craig und Léa Seydoux: Die französische Schauspielerin umschifft gekonnt „Bond“-Girl-Klischees, selbst wenn sie irgendwann dann doch in den Armen des Agenten landet. Woran es aber bei „Spectre“ wirklich hapert, ist die Action: Das ist insofern ernüchternd, als die „Bond“-Reihe zumindest immer für das eine oder andere Spektakel gut war. Sam Mendes begeistert zwar mit der technisch beeindruckend umgesetzten Eröffnungssequenz, die in einem lässigen Faustkampf in einem sich überschlagenden Hubschrauber kulminiert.

Dann kommt allerdings zu wenig nach, um dem Ruf der Reihe gerecht zu werden: Eine Autoverfolgungsjagd findet zu einem komischen Höhepunkt, wenn Bond in einer engen Gasse einen Kleinwagen mit illustrem Pensionisten am Steuer vor sich herschiebt und auf 100 km/h beschleunigt. Das bleibt aber letztlich ebenso enttäuschend wie der Moment, in dem der Superspion mit einem flügellosen Flugzeug durch ein österreichisches Holzhaus brettert. Auch bei den darauf folgenden Explosionen, Hauseinstürzen und Schusswechseln fragt man sich, wohin die 300 Millionen Dollar (!) Produktionsbudget wirklich geflossen sind. „Spectre“ sieht im Vergleich mit dem diesjährigen Actionmeisterwerk „Fast & Furious 7“ altbacken aus. Bond als Popfigur und Geheimagent wird relevant bleiben: Dieser Film eher nicht.

Fakten

Ian Fleming. Der „Bond“-Erfinder (1908–1964) studierte in Eton, lebte u.a. in Kitzbühel und war beim Nachrichtendienst der britischen Marine beschäftigt.

Zwölf „Bond“-Romane. Das noble Leben seines Helden kannte Fleming aus eigener Anschauung. Bond wurde schon zu Flemings Lebzeiten berühmt. Hollywood-Größe Harry Saltzman sicherte sich die Filmrechte und holte Albert R. Broccoli (1909–1996) ins Boot.

Barbara Broccoli, Alberts Tochter, und Stiefsohn Michael G. Wilson produzieren die „Bond“-Reihe. Die Einspielergebnisse stiegen seit „Bond jagt Dr. No“ 1962 von 60 Millionen Dollar auf über eine Milliarde. Daniel Craig bescherte Bond bei seinem ersten Auftritt ein Einnahmenplus von ca. 130 Mio. Dollar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2015)

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