Abel Ferrara: "Pasolini war wie eine Handgranate"

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Abel Ferrara hat einen Film über seinen "Lehrer" Pier Paolo Pasolini gedreht. Mit der "Presse" sprach er über dessen Energie und Sprunghaftigkeit, über Macht und seinen Buddhismus: "It's all karma to me."

Zweiunddreißig Mal verwendet Abel Ferrara während des Gesprächs das Wort „fuck“. Allerdings nicht, weil er sich über etwas ärgert. Er spricht einfach, wie er immer gesprochen hat. Ferrara kommt aus der Bronx, verbrachte einen Gutteil seines Erwachsenenlebens im Drogenrausch. Seine besten Filme, wie „Bad Lieutenant“ und „The Addiction“, erzählen genau davon: von der Wahrnehmung der Welt im bewusstseinsveränderten Zustand. Von der Sucht.

Seit knapp zwei Jahren ist Ferrara nun clean. Er, der aus einer katholischen Familie von italienischen Einwanderern stammt, ist zudem zum Buddhismus konvertiert. Die Unberechenbarkeit und Suchtgeilheit seines Kinos hat der 64-Jährige gegen eine aufregende Klarsicht eingetauscht. In seinem jüngsten Film, „Pasolini“, geht es zwar immer noch um Obsessionen: politische, künstlerische, sexuelle. Aber eben nicht mehr um den Rausch als solchen. Ferrara errichtet ein höchst subjektives Spiegelkabinett um diesen für ihn (und viele andere) größten aller italienischen Regisseure: Pier Paolo Pasolini am letzten Tag seines Lebens. Er gibt Interviews, hockt in seinem Lieblingsrestaurant, ist zu Hause bei seiner geliebten Mama. Ferrara weiß, dass er diesen Menschen nicht im konventionellen Sinn zu fassen kriegt. Daher inszeniert er Momente, Vignetten einer möglichen Wirklichkeit, mit allen Mitteln der Fantasie. Mittendrin Pasolinis langjähriger Partner und „ewiger Junge“ Ninetto Davoli in einem Re-Enactment des letzten, unverfilmt gebliebenen Drehbuchs des italienischen Meisterregisseurs. Ferrara spricht im Interview kaum über den Film. Immer wieder geht es ihm um das große Ganze, das Leben und die Kunst. Er trinkt Wasser. Ohne Kohlensäure.

Die Presse: Sie drehen seit über vierzig Jahren Filme, werden aber immer noch Enfant terrible genannt.

Abel Ferrara: Heute schätze ich diese Zuschreibung viel mehr als früher. Damals habe ich nicht verstanden, was das bedeuten soll.

Sehen Sie es als Kompliment?

Man kann mich nennen, wie man will.

Pier Paolo Pasolini war auch stets als Störenfried verschrien. Wann haben Sie zum ersten Mal einen Film von ihm gesehen?

Als ich jung war, habe ich „Decameron“ gesehen. Wir waren noch Kinder, alle so um die zwanzig. Aber wir haben schon selbst Filme gedreht. So etwas zu sehen haut einen einfach um. Diese kreative Energie. Wie eine Handgranate. Eine Explosion.

Haben Sie Pasolini bewundert?

Sobald jemand dein Lehrer ist, bist du sein Schüler. Ein grundlegendes buddhistisches Prinzip. Natürlich hinterfragt man seinen Meister, aber letzten Endes hat er immer recht. Mit meinem Film wollte ich erforschen, wieso das so ist. Ich habe viele Gespräche mit jenen Menschen geführt, die ihn am besten gekannt haben.

Willem Dafoe spielt bei Ihnen Pasolini. Eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Besetzung, die aber erstaunlich gut funktioniert.

Willem und ich hatten einen schwierigen Start bei „New Rose Hotel“. Aber bei den nächsten gemeinsamen Projekten wie „Go Go Tales“ lief es wie geschmiert. Wir sind eine Band, und er ist unser Sänger. Das Drehbuch entsteht immer in Kollaboration. Jeder von uns bringt Ideen und Material mit ein.

Ist dieses Materialsammeln auch der Grund für die kaleidoskopische Struktur von „Pasolini“?

Natürlich kann ich versuchen, mit einem Film die ganze beschissene Welt zu erklären. Aber im Grunde zeigt man 90 Minuten lang Bilder. Ob sie von neun Tagen oder 29 Jahren erzählen, ist Nebensache. „Pasolini“ spielt am letzten Tag in seinem Leben. Aber er war als Mensch so veränderlich, so fließend, so sprunghaft, dass man ihn eben auf einen Moment festnageln muss, um verstehen zu können, wo er sich gerade befunden hat. Schon in einer Woche, in einem Monat war er wieder ganz woanders.

In den vergangenen Jahren haben Sie viele Dokumentationen realisiert. Wieso wollten Sie „Pasolini“ als Spielfilm drehen?

Wo ist da der Unterschied? Wir zeigen seine Leute, sein Haus, seine Kleidung und die Restaurants, in denen er gegessen hat. Wie viel dokumentarischer kann man denn noch werden?

In „Pasolini“ stellen Sie auch das letzte Drehbuch von ihm nach. Kennen Sie keine Furcht?

Wenn mir jemand den Kopf abschneiden will, fürchte ich mich. Bei diesem Film hatte ich das Gegenteil von Angst. Ich hatte Vertrauen, da wir ein fantastisches Drehbuch umsetzen konnten. Ein Drehbuch, das alle instinktiv verstanden haben, vom Elektriker bis zu den Schauspielern.

Den Pasolini-Film wollten Sie schon in den Neunzigerjahren umsetzen. Wieso hat es so lang gedauert?

Man wartet immer auf den richtigen Moment. Ich glaube, wir mussten erst die Dokumentationen drehen, um dafür bereit zu sein.

Damals wollten Sie, dass Zoë Tamerlis-Lund, die Sie für Ihren Rache-Thriller „Ms. 45“ entdeckt haben, Pasolini spielt.

Die Geschichte hätte in New York gespielt. Auf dem Bahnhof, am Hafen. Wir wollten, dass Zoë als Pasolini durch die Stadt wandert. Das Einzige, was wir unverändert gelassen hätten, wäre der Alfa Romeo.

2014 haben Sie nicht nur „Pasolini“ fertig gestellt, sondern auch den an den Sexskandal von Dominique Strauss-Kahn angelehnten Film „Welcome to New York“. In beiden Filmen stehen Männer im Mittelpunkt, die von ihren Obsessionen zu Fall gebracht werden.

Machtmissbrauch ist gefährlich. Und ich rede nicht von den beiden Typen, sondern von mir selbst. Ich kenne nur mich selbst. Trotz aller Recherche kann ich nicht behaupten, dass ich diese Männer kenne oder verstanden habe. Ich bin ein Künstler, kein beschissener Biograf. Diese Filme erheben nicht den Anspruch, Dokumentationen zu sein. Aber ja, Macht korrumpiert.

Den Menschen Pasolini zeigen Sie vorwiegend in stillen Momenten.

Wir wollten das Leben zeigen, das er gelebt hat. Er hat bei seiner Mutter gelebt. Er hat seine Mutter geliebt. Und er hatte kein Problem damit. Am Ende seines Lebens arbeitete er an einem 1700-seitigen Roman, zwei fertige Drehbücher lagen in der Schublade, jede Woche erschien seine Kolumne in einer großen Tageszeitung. Dieser ganze Scheiß schreibt sich doch nicht von selbst! Und dafür brauchte Pasolini die Ruhe, die vertraute Umgebung, diese Ordnung der Dinge. Wäre er zu Hause gestorben, es wäre ganz etwas anderes gewesen. Aber er starb am Strand, wurde von einem Auto überfahren. War es ein Unfall? War es Schicksal? Ich bin Buddhist. It's all karma to me.

ZUR PERSON

Abel Ferrara, geboren 1951 in der Bronx, begann mit Porträts des dortigen Straßenlebens. Zu seinen Meisterwerken zählen „Bad Lieutenant“ (1992) und „The Addiction“ (1995). 2013 verfilmte er die Affäre Strauss-Kahn (mit Gérard Depardieu und Jacqueline Bisset), doch der Film „Welcome to New York“ kam in vielen Ländern nicht in die Kinos. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2015)

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