Mit offenen Augen und Willenskraft: Über große Politik im Kleinen

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Mit „Kaum öffne ich die Augen“ eröffnet die junge Tunesierin Leyla Bouzid die Frauenfilmtage. Manches hat sie mit den Figuren gemein.

Eines hat Leyla Bouzid (31) mit der Hauptfigur ihres aktuellen Films jedenfalls gemein: Wie die 18-jährige Farah, die mit politischen Liedern gegen das tunesische Regime vor dem Arabischen Frühling rebelliert, lässt sie sich nicht so schnell von etwas abbringen. „Am Anfang wurde ich immer und immer wieder gefragt: Warum machst du keinen Film darüber, was jetzt gerade los ist? Es gibt eine Revolution, erzähl doch darüber! Aber ich war und bin überzeugt, dass es keine Zukunft gibt, wenn wir uns nicht mit der Vergangenheit befassen.“

Die Vergangenheit, die die Filmemacherin meint, ist gar nicht so lange her. Ihr Film „Kaum öffne ich die Augen“, der heute die Frauenfilmtage in Wien eröffnet, spielt 2010. Kurz bevor die Tunesier begannen, gegen Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali auf die Straße zu gehen, als erste in der arabischen Welt. „Ich wollte die Atmosphäre der Angst zeigen, die 23 Jahre lang herrschte und über die noch nicht viel erzählt worden ist. Immer aufpassen zu müssen, was du sagst. Nicht zu wissen, wem du vertrauen kannst.“

Leyla Bouzid ist selbst in dieser Atmosphäre in Tunis aufgewachsen. Und manches, was Farah im Film erlebt, hat sie selbst so ähnlich erfahren: Als junges Mädchen wurde sie im Filmklub von einem scheinbaren Freund bespitzelt. Die große Politik wird im Film aber kaum explizit angesprochen. „Ich wollte die Geschichte aus einem ganz intimen Blickwinkel erzählen“, sagt Bouzid. „So, dass wir uns denken: Vielleicht sind Farah und ihre Mutter dann auch zu den großen Demos gegangen.“

„Es gibt kaum junge Filmemacher“

Die Politik ist nicht das einzige Thema im Film: Farah rebelliert gegen die Wünsche, die ihre Familie für ihre Zukunft hat (Medizin statt Musik). Gegen die immer bestimmteren Versuche ihrer Mutter, ihr die Grenzen aufzuzeigen, die Frauen in diesem Land haben. Und sie lebt ihren Freiheitsdrang mitunter radikal aus, inklusive einer Reihe erster Male: Alkohol, Sex, Marihuana. Immer noch knapper an der Grenze des gesellschaftlich, des politisch Tolerierten.

Ihre Figur Farah sei ein bisschen naiver als sie selbst, meint Leyla Bouzid. Aber den Willen haben sie gemeinsam. „Man braucht schon viel Willenskraft, um Filme zu machen.“ Dabei sei die Hürde gar nicht so sehr, dass sie eine Frau sei („In Tunesien ist das Geschlechterverhältnis im Film ungefähr gleich wie in Frankreich“), sondern viel mehr ihr Alter. „Es gibt kaum junge Filmemacher. Das war hart.“ Den Namen ihres Vaters Nouri Bouzid – eines bekannten tunesischen Regisseurs – wollte sie nicht in die Waagschale werfen. „Wenn ich mich als seine Tochter definiere, wird es schwierig, meinen eigenen Stil zu finden.“ Weshalb sie gleich nach der Schule nach Paris gegangen sei, wo sie an der Sorbonne Literatur studiert hat. Um etwas weiter weg von ihrem Vater zu sein – der mit „Millefeuille“ zuletzt einen Film machte, der zur Zeit der Revolution spielt.

Was sich seitdem in Tunesien geändert hat? „Es gibt einen gewissen Grad an Demokratie und an Meinungsfreiheit“, sagt Bouzid. „Aber alles, was wir gewonnen haben, ist ständig bedroht. Wir müssen für soziale Rechte kämpfen, die Wirtschaft ist am Boden. Es ist ein Prozess.“ Aber etwas, das auch ihr Film zeige, sei: „Wir haben seit damals einen Schritt nach vorn gemacht.“

Trotzdem versteht sich Leyla Bouzid nicht als politische Aktivistin. „Ich weiß, dass es ein sehr politischer Film ist. Und natürlich habe ich Überzeugungen. Aber was ich im Grunde wollte, war, eine Geschichte zu erzählen – so ehrlich wie möglich.“ In ihrem nächsten Film geht es übrigens um Liebesgeschichten in der arabischen Welt. Womöglich spielt auch da die große Politik im Kleinen eine Rolle.

Auf einen Blick

Leyla Bouzid (31) eröffnet mit ihrem Film „Kaum öffne ich die Augen“ heute, Donnerstag, die Frauenfilmtage im Filmcasino Wien. Die 18-jährige Farah rebelliert darin gegen Politik, Gesellschaft und Familie. Bouzid ist in Tunis aufgewachsen und hat in Paris studiert. Der Film ist ihr erster Langfilm und wurde auf der Biennale in Venedig ausgezeichnet. Im Juni soll er in Österreich ins Kino kommen.

Die Frauenfilmtage in Wien engagieren sich für die Sichtbarkeit weiblichen Filmschaffens. Sie dauern bis 4. März. frauenfilmtage.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2016)

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