"Die Gräfin": Mehr Jungfrauenblut!

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Als "Die Gräfin" bricht die sympathische Aktrice Julie Delpy mit ihrem Image: Den Film über die Killer-Aristokratin Erzsébet Báthory inszenierte sie auch selbst.

Als „Blutgräfin“ ist sie berüchtigt: Die ungarische Aristokratin Elizabeth (eigentlich: Erzsébet) Báthory (1560–1614) ging als eine der schlimmsten Serienmörderinnen in die Geschichte ein. 1610 wurde sie dazu verurteilt, für den Rest des Lebens in ihrer Zimmerflucht eingemauert zu werden, das Gericht lastete ihr 80 Morde an. Legendenbildung führte schnell zu größeren Gerüchten: 650 Opfer habe Báthory grausam gefoltert (angeblich führte sie Buch). Hörensagen vom Prozess vermischte sich mit vampirischer Folklore zur Geschichte der Gräfin, die im Blut von Jungfrauen badete, um ihre Jugend zu bewahren.

So stand es auch in frühen Geschichtsbüchern, in den letzten Dekaden erwogen Historiker aber die These, Báthory sei vielmehr Opfer einer politischen Verschwörung gewesen. Doch längst ist die Legende in Literatur, Film und zahllosen Heavy-Metal-Songs verewigt: Schon 1886 inspirierte die Blutbädersage Leopold von Sacher-Masoch zur Novelle „Ewige Jugend“, erst unlängst bearbeitete Bestsellerfabrikant Wolfgang Hohlbein den Stoff. Im Kino gab es vor allem in den Siebzigerjahren eine regelrechte Horrorfilm-Hochblüte: So spielte Ingrid Pitt die Comtesse des Grauens für die britischen Hammer Studios, und Paloma Picasso, die Tochter des Malers Pablo, stieg ins Blut, im Episodenfilm Unmoralische Geschichten des großen polnischen Erotomanen Walerian Borowczyk.

Gegenwärtig kehrt die Figur zurück: Ob als Bezugspunkt im Hollywoodschocker Hostel 2 oder im Vorjahr als Titelheldin der international besetzten, in der Slowakei entstandenen Produktion Bathory und des billigen tschechischen Sexploitation-Videos Blood Countess (es gibt bereits eine Fortsetzung). Heuer versucht sich Delpy mit Die Gräfin als Regisseurin, Autorin und Darstellerin an einer vorwiegend in Deutschland gedrehten Báthory-Neuinterpretation „ohne Horrorfilmklischees“.

Es ist ein langjähriges Herzensprojekt der sympathischen Schauspielerin, die sich zum zweiten Mal auch als Regisseurin versucht: 2007 debütierte sie mit der quirligen Komödie 2 Tage in Paris. Dagegen ist Die Gräfin düster, in der Titelrolle will July Delpy sichtlich mit ihrem ätherischen Blondinenimagebrechen: die Haare dunkel gefärbt, ihr Antlitz zusehends verhärmt aus Gram über die unglückliche Liebe (zu Adels-Burschi Daniel Brühl), die in blutigem Jugendwahn endet. Weniger gelungen ist der inszenatorische Mix aus Historienmelodramklischees und TV-tauglicher Garnierung mit Horror und einem Schuss Sadomasochismus. War der Wechsel in der Gangart zu gewagt?


Barbara Cartland und Brutalität. Delpy ist leicht übermüdet – im Jänner, kurz vor der Berlinale-Premiere des Films, kam ihr Sohn Leo zur Welt –, aber lacht freundlich. Und sagt, schon ihre Figur in 2 Tage in Paris sei doch „eigentlich widerlich und psychotisch“ gewesen: „Sie attackiert Leute auf der Straße – für eine romantische Komödie nicht eben typisch, aber man mag sie trotzdem. Genau diese Widersprüche reizen mich: Die Gräfin kontrastiert eine Barbara-Cartland-Romanze mit Streben nach Macht, Zerstörung und Brutalität. Diese starke Frau wird im Grunde von einem One-Night-Stand zerstört. Aber so ist die menschliche Natur! Die Stärksten stürzen, die Mächtigen enden im Wahn oder entpuppen sich als Schurken: wie Madoff, der ganz normal wirkte, aber sich wie ein Schizophrener gebärdete. Es gibt diesen interessanten Gegensatz zwischen dem, wie Leute erscheinen, und dem, was sie sind.“

So auch bei Báthory, sagt Delpy: „Vieles bleibt in den Gerichtsprotokollen unklar: Blutende Mädchen werden zwar erwähnt, aber nichts über die Bewahrung der Jugendlichkeit. Stattdessen schwachsinnige Satanismusanschuldigungen. Ich sprach mit Historikern, die sagten, man wollte sich nur einer reichen, mächtigen Frau entledigen. Das ist im Wesentlichen die Geschichte. Aber ich griff auch den Mythos auf, denn dafür ist Báthory ja bekannt.“

Blutbäder zeigt Delpy aber nicht: „Man braucht wirklich viel Blut, um darin zu baden: Das wäre zu lächerlich!“ Stattdessen näht sich ihre Gräfin eine Haarlocke des Geliebten in die Brust. Delpy grinst: „Eigentlich ist Báthory ja Protestantin, aber diese Selbstbestrafung durch Pein ist so katholisch! Das gefällt mir. Auch die Protestanten kennen diese Neigung, sich Schmerz zuzufügen, aber es ist viel kälter, wie in Bergmans Fanny und Alexander: eine lästige Pflicht, ein trockener Schmerz. Kein Blut! Hingegen ist es extrem und fanatisch, seine Zugehörigkeit zu einer Person auszudrücken, indem man buchstäblich etwas von ihr unter die Haut nimmt: Báthory macht ihre Liebe zur Religion und den starken Schmerz zum Zeichen der Liebe. Eigentlich also doch sehr französisch!“ Die Sadomaso-Beziehung der Gräfin mit einem älteren Mann sei dagegen „ein reiner power trip: Es geht nicht um Sex, sondern um Macht, wie in vielen sadomasochistischen Beziehungen. Aber ich bin keine S/M-Expertin, ich praktiziere das nicht wirklich, es amüsiert mich nur.“

Ihr Ausgangspunkt war aber ganz ernsthaft: „Mich faszinierte immer schon die Idee, dass der Tod alle gleichmacht: Auch Báthory endet in irgendeiner Grube. Bereits als kleines Mädchen sah ich mit meinen Eltern Shakespeares ,Hamlet‘ sicher 400-mal – und war besessen von einer Szene: die Totengräber! Schon mit sechs Jahren habe ich diese auswendig gelernt.“

Übernatürliches hat sie absichtlich verweigert: „Das gab es schon zu oft in Filmen dieser Art und ist schwer hinzukriegen: Es wirkt schnell kitschig.“ Aber ist die Liebesgeschichte in Die Gräfin nicht Kitsch? „Ja, aber da finde ich es toll! Vielleicht ist das die Zynikerin in mir, aber wenn man in romantischen Dingen zu naiv ist, wird man aufs Kreuz gelegt. Darüber mache ich mich lustig: eine billige Lovestory, wie mit einem kleinen Herzchen drumherum und kleinen Vögelchen. Ich wollte ja zwei Liebesvögel und Disney-Hunde – leider war das Budget zu knapp!“

Julie Delpy
Geboren 1969 in Paris, Kind zweier
Schauspieler. Schon mit fünf steht Delpy auf der Bühne, als Teenager spielt sie in den 80er-Jahren für französische Filmkünstler wie Bertrand Tavernier und
Jean-Luc Godard.
In der nächsten Dekade wird sie als Darstellerin mit Filmen wie der Wien-Liebesgeschichte „Before Sunrise“ zur
internationalen Ikone im Independent-Kino.

Sängerin, Regisseurin Seit dem Umzug in die USA – 2001 wurde Delpy Doppelstaatsbürgerin – nahm sie auch eine CD mit Chansons auf und studierte Film.
„Die Gräfin“ ist ihre zweite Arbeit als Regisseurin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2009)

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