"Coraline": Krieg wegen der Knöpfe

(c) Photo Credit: Courtesy of Focus
  • Drucken

Schräger Schrecken im Wunderland: Henry Selicks charmanter 3D-Puppentrickfilm „Coraline“ ist ungewöhnlich – und ein subtiler technischer Triumph. Statt Augen gibt es Knöpfe für die Charaktere.

Unzufriedene elfjährige Mädchen sind im Prinzip nichts Besonderes, aber an der Titelheldin des Films Coraline ist nicht nur der Name ungewöhnlich: Das blauhaarige Kind hat in seinem neuen Zimmer eine Tür, die in eine Parallelwelt führt. Ein wenig wie Alice im Wunderland, nur noch etwas unheimlicher, was die surrealen Effekte anbelangt: Coralines Reise ins Reich hinter den Spiegeln geht durch einen Korridor, der wie eine blau schillernde Nabelschnur aus Papiermachee wirkt. Auf der anderen Seite wartet keine Grinsekatze, sondern ein schwermütiger schwarzer Kater, der sprechen kann und mit dämonischen Ratten kurzen Prozess macht. Ach ja, und alle Menschen in Coralines Wunderland haben Knöpfe statt Augen.

Was Coraline zunächst kaum stört: Während sie ihre echten Eltern – gestresst und überfordert nach dem gerade erfolgten Umzug – vernachlässigen, wird sie von deren knopfäugigen Parallelwelt-Pendants maßlos verwöhnt. Statt schleimigen Gemüsebreis gibt es Festessen, etwa Truthahn inklusive des im Englischen sprichwörtlichen„gravy trains“: Eine Spielzeugeisenbahn rund um den Esstisch transportiert die Soße.

Coralines Leben wird buchstäblich zum Zirkus, die schrulligen alten Nachbarn sind auf einmal wieder jung: ein russischer Zirkusakrobat und zwei zwitschernde Varietékünstlerinnen (im Original gesprochen vom brillanten britischen Comedyduo Dawn French und Jennifer Saunders), die nun erneut durch die Lüfte gleiten – vor einem hingerissenen Publikum von Schottischen Terriern, die selbst wiederum der wohl hinreißendste Anblick des Kinosommers sind. Kein Wunder, dass Coraline nur den Schlaf verwünscht, der sie allnächtlich aus der Fantasiewelt in die langweilige Realität zurückbringt. Bis es eines Tages nicht passiert – und sich das Paradies als teuflische Falle entpuppt. Auch Coraline sollen Knöpfe statt Augen angenäht werden, damit sie für immer bleibt. Ein Krieg ums (Über-)Leben beginnt.

Vor allem über das SehenentwickeltCoraline folgerichtig ein klassisches Sujet der fantastischen Kinderliteratur: Der Wunsch, der (elterlichen) Autorität zu entkommen und vermeintlich unbeschwerte Abenteuer zu erleben, ist nicht ungefährlich. Das ist vertrautes Terrain für die kreativen Köpfe hinter dem Film: Doch Fantasy-Erfolgsautor Neil Gaiman, der die Buchvorlage schrieb, und Animationsregisseur Henry Selick gewinnen dem Thema unübliche Facetten ab. So erweist sich die zuerst als beherzte Identifikationsfigur eingeführte Titelheldin doch als leicht selbstsüchtig und unduldsam – wie Kinder eben so sind. Und im Finale scheint Coraline zwar ihre Aufgaben zu erfüllen, aber tatsächlich wird der Deus ex Machina mehrmals rettend bemüht.

Grusel und Groteske statt Gewalt

Das mag zum Teil ein Zugeständnis sein, aber es entspricht auch der Zwiespältigkeit des Films: Im stark kinderorientierten Bereich des 3-D-Animationsfilms schreckt Coraline keineswegs davor zurück, Kinder tatsächlich ein wenig zu erschrecken. Angenehmerweise wird dabei auf genuinen Grusel und Groteskes gesetzt, nicht auf Gewalt. (Ursprünglich war der Film ein Musical, es ist nur ein heiteres Ständchen geblieben.)

Dass die atmosphärische Schauermär gut funktioniert, verdankt sich schrägem Witz und technischer Raffinesse: Regisseur Selick ist seit seinem Durchbruch mit Tim Burton's The Nightmare Before Christmas dem Stop-and-go-Puppentrickfilm treu geblieben. Nun hat er sich erstmals in die dritte Dimension gewagt (im Vorspann werden Puppen gefüllt, damit „räumlich“), und es ist ein subtiler Triumph: Die unaufdringlichen, leicht digital unterstützten 3-D-Effekte ermöglichen ein Gefühl von Greifbarkeit und unterschiedliche Perspektiven auf die parallelen Puppenwelten. Auch in der Hinsicht ist Coraline ein ungewöhnliches Vergnügen.

ZUM FILM

„Coraline“ ist der längste Animationsfilm in Stop-Motion-Technik, der bisher gedreht wurde – und der erste, der ganz in 3-D gefilmt wurde. Die Arbeiten an dem im Einzelbildverfahren animierten Puppentrickfilm von Henry Selick dauerten über 18 Monate.

Ab Freitag, 14. August, läuft „Coraline“ in 2-D und 3-D in den österreichischen Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.