Waris Dirie: "Der Film soll alle schockieren"

(c) APA (Helmut Fohringer)
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Sie bleibt an keinem Ort länger als einige Wochen und sagt stets, was sie denkt. Etwa auch, dass sie nicht über den neuen Film, der sie porträtiert, sprechen will. Eine Begegnung mit Waris Dirie.

Sie ist Österreicherin, lebt aber längst nicht mehr hier. Sie hat ein Haus in Polen, sagt aber: „Ich muss von dort bald wieder weg.“ An keinem Ort hält sie es länger als einige Wochen aus. Ihr Manager aus Österreich, Walter Lutschinger, hat also vermutlich recht, wenn er meint, dass ihre nomadischen Wurzeln nie ganz verschwinden werden.

Waris Dirie ist eine starke Frau. Aber auch eine, die man nicht sofort versteht. Sie hat in ihrem Leben so viel durchgemacht wie andere vielleicht in fünf. Doch ihre sture, manchmal aufbrausende Art irritiert. Ihrem durchdringenden Blick, der sagt: „Nimm mich ernst!“, muss man standhalten, ihrer abwechselnd sehr leisen und dann wieder ganz lauten Stimme mit dem immer noch fehlerhaften Englisch muss man folgen können. Beim Interviewtermin im Hotel Sacher ist sie gut gelaunt. Auch wenn sie nicht jede Frage mag, die man ihr stellt. Etwa die nach ihrer Odyssee in Brüssel vor einem Jahr, als sie drei Tage verschwunden war. „Child, stop this“, sagt sie ganz ernst. „Ich habe absolut nichts zu Brüssel zu sagen.“

Dann also Themenwechsel. Dass ihr Leben einmal verfilmt werden würde, lag auf der Hand. Ein somalisches Mädchen flieht mit 13 vor der Ehe mit einem alten Mann, verlässt den Nomadenstamm, schlägt sich nach Mogadischu durch, kommt als Dienstmädchen in die somalische Botschaft nach London, jobbt später als Putzfrau in Fastfoodlokalen und wird dort von einem Fotografen entdeckt. Am Höhepunkt ihrer Karriere spricht sie erstmals über das ihr als Kind zugefügte Leid Genitalverstümmelung. Sie tritt vor der UNO auf und wird deren Sonderbotschafterin. Das ist ein Leben, geschaffen für einen Film.

Genau dieser hat in ein paar Tagen beim Filmfestival in Venedig Weltpremiere, kommt im Herbst in die österreichischen Kinos. Der Film von Regisseurin Sherry Hormann heißt „Wüstenblume“ – so wie Diries autobiografischer Bestseller und wie das Ex-Model ständig mitleidig-glorifizierend genannt wird. In der pompösen Rigoletto-Suite im vierten Stock des Sacher will Dirie eigentlich nicht über den Film reden. Lieber über den „komischen Opernball“ in Wien, zu dem sie so oft geladen wurde, den sie aber nie besuchen würde. Und über „Mr. Lugner“, diesen „old man“, der sich immer junge Frauen sucht. „Er erinnert mich an den Mann, vor dem ich davongerannt bin.“ Auf Venedig freue sie sich nicht, lieber würde sie „ein Flugzeug ins Weltall besteigen und erst wieder zurückkehren, wenn die Premiere vorbei ist“.

Sherry Hormann sei nicht die Erste gewesen, die einen Film über Diries Leben machen wollte. Aber nach den drei Treffen mit ihr in Wien habe sie gewusst: „Sie ist die Richtige.“ Hauptdarstellerin Liya Kebede war – wie Dirie – Model, hat wie ihr reales Vorbild einen Sohn und sieht Dirie frappierend ähnlich. Trotzdem sei ihr „schlecht geworden“, als sie den Film das erste Mal sah. Und ohnehin soll er nur eines tun: „Die Welt schocken. Meine Bücher waren offenbar nicht laut genug.“ Die Politik müsse endlich etwas gegen Genitalverstümmelung unternehmen. Was, sei ihr egal. Ob der Film dabei hilft?

Natürlich könnte man Waris Dirie ein „gefallenes Topmodel“ nennen. Oder eine Ex-UN-Sonderbotschafterin, die das Vertrauen internationaler Politiker verspielt hat, weil sie, wie im Vorjahr in Brüssel, offizielle Termine nicht einhielt. Aber das ist eigentlich vermessen. Dirie hat ohne Schulbildung Karriere gemacht und gegen ein Verbrechen gekämpft, über das man bis vor 15 Jahren wenig bis gar nicht sprach. Irgendwann ist ihr das zu viel geworden. Über ihre frühere Alkoholsucht hat sie offen in einem ihrer Bücher geschrieben.

Und jetzt? Jetzt tut sie eben nur mehr, was sie wirklich will. Vor kurzem ist sie zum zweiten Mal Mutter eines Sohnes geworden und wird nun wohl mit ihm von Ort zu Ort reisen. Gestern Wien, heute Polen, morgen irgendwo. An diesem Vormittag im Sacher sagt sie, sie fühle sich „wonderful“ und sei „happy“. Und warum, um alles in der Welt, soll sie das nicht sein?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2009)

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