Seidl auf Safari: Sezierender Blick auf Jagdtouristen

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Ulrich Seidl präsentiert in Venedig seine neueste Arbeit, „Safari“. Deutlich kühler geht es in Ronny Trockers „Die Einsiedler“ zu.

Im Reisebericht „Die grünen Hügel Afrikas“ beschreibt der leidenschaftliche Jäger Ernest Hemingway seine ausgedehnten Pirschgänge durch Tansania. An einer Stelle wird er von einer Zufallsbekanntschaft gefragt, warum er als Dichter einer derart vulgären Tätigkeit nachgeht. Hemingways typisch lakonische Antwort sagt alles und nichts: „Es gefällt mir.“ Ulrich Seidl will es in seiner neuesten dokumentarischen Arbeit, „Safari“, die heute bei den Filmfestspielen von Venedig außer Konkurrenz Premiere feiert, etwas genauer wissen – und richtet seinen empathisch sezierenden Blick auf deutsche und österreichische Jagdtouristen in Afrika. Wie schon in Seidls „Tierische Liebe“ geht es darum, wie der Mensch das Tier zum Objekt seiner unbefriedigten Bedürfnisse macht. Und wie in „Import/Export“ und „Paradies: Liebe“ geht es um die Suche nach Erfüllung in der Fremde – dort, wo man sein Zivilisationskorsett ein wenig lockern kann.

Jagd, das ist für die „Safari“-Urlauber in erster Linie ein Abenteuerspiel: ausspähen, anschleichen, auflauern. Fast wirken die Hobbyjäger wie Kinder, wenn sie im aufgeregten Flüsterton ihre nächsten Schritte planen, und die kargen Weiten Südafrikas und Namibias erscheinen als übergroßer Steppensandkasten – aber das Anvisieren und Abdrücken, das Töten also, ist unleugbar die Angelegenheit Erwachsener. Erwachsener, die spüren wollen, wie das früher so war mit dem Killerinstinkt. Mehrfach verfolgt Wolfgang Thalers Kamera den Pirschzyklus und seine Nebenwirkungen. Das Wild kommt nicht ins Bild, der Zuschauer ist Jagdkomplize. Beim Blick durch das Zielfernrohr scheint die Zeit kurz stillzustehen, und wenn der Schuss fällt, geht ein Ruck durch die Einstellung – aber auch durch die Menschen. Nachdem sie das „verendete Stück“ – Jägerlatein für erlegtes Tier – aufgespürt haben, fallen sie sich in die Arme, als hätten sie soeben eine wichtige Prüfung bestanden oder eine Katastrophe überlebt.

Solche Momente müssen festgehalten werden, und Seidl zeigt auch die penible Inszenierung der Trophäenfotos: Wie die Blutspuren beseitigt und die Kadaver für ein perfektes Schützenporträt in Positur gesetzt werden (ein Schelm, wer dabei an Seidls eigene Inszenierungsstrategien denkt, die freilich nicht der Kaschierung, sondern der Offenlegung unangenehmer Details dienen). In einer großartigen, schrecklichen Szene bäumt sich eine angeschossene Giraffe ein letztes Mal auf, als die Jäger sie finden; kurz erfährt die Distanz zwischen Mensch und Tier einen irritierenden Einbruch. Doch gleich im Anschluss geht es darum, wie der Giraffenkörper am besten auf der Ladefläche eines Lastwagens deponiert werden kann, und später verwirklichen sich die Konnotationen der Bezeichnung „Stück“ endgültig in einer längeren Zebrazerwirkungssequenz.

Wie sich die Jäger rechtfertigen

Sauer aufstoßen wird „Safari“ nur denjenigen, die seine vorurteilslose Annäherung an ein Reizthema mit Parteinahme gleichsetzen. Frontal gefilmte Dialogpassagen bieten den Durchschnittsjägern eine Rechtfertigungsplattform, aber ihre Argumente – Sterbehilfe für überalterte Tiergenerationen, Wirtschaftsboost für Entwicklungsländer – scheinen sie selbst nicht so richtig zu glauben.

Seidls Waid-Werk stellt der Mensch-Natur-Beziehung zwar kein sonderlich gutes Zeugnis aus, blickt aber, wie immer, relativ wertfrei auf seine Protagonisten – ein nahezu neutrales Pendant zu Peter Kubelkas satirischem Avantgardekurzfilmklassiker „Unsere Afrikareise“ (1966), der Auftragsaufnahmen für (Jagd-)Touristen gegen sie selbst wendet. Nahezu neutral, weil spätere Szenen, die afrikanische Jagdhelfer in wortlosen Tableaus zeigen, einem kritischen Statement über ihre subalterne Position ziemlich nahe kommen. Nach den rassistischen Äußerungen eines Jagdfarmbesitzers fragt man sich dann, wie weit der Sprung ist von der Entwertung tierischen Lebens zur Entmenschlichung „fremder“ Artgenossen. Gleichzeitig schließt sich der Besitzer mit ein, wenn er am Ende urteilt: „Das Grundübel ist der Mensch selber.“

Um den Menschen in der Natur geht es auch in Ronny Trockers „Die Einsiedler“, der in der Lido-Nebenschiene Orizzonti läuft, aber das Setting ist nicht heiß und trocken, sondern feucht und kühl. Andreas Lust spielt einen Marmorbruch-Hackler in Südtirol, der auf dem abgeschiedenen Alpenbauernhof seiner Eltern aufgewachsen ist. Als der Vater stirbt, steht er vor der Wahl: Soll er in unwirtlicher Einsamkeit sein Erbe antreten oder weiter im Tal sein unsicheres Glück versuchen? Lust spielt im Grunde eine rustikale Version seiner introvertierten Figur aus „Der Räuber“. Das Bauernleben hat ihn hart gemacht, aber nicht so hart wie seine Mutter (Ingrid Burkhard): An einer starken Stelle packt sie aus Wut auf die Welt ihre Flinte und schießt das Wandkreuz in der Hütte kaputt.

Narrativ wirkt „Die Einsiedler“, der sich auch als Abgesang auf ein sterbendes Metier versteht, leider allzu konstruiert und trotz löblichem Naturalismuseifer gestelzt. Das liegt auch daran, dass die gebürtigen Wiener Burkhard und Lust mit ihrem Südtiroler Akzent nicht immer überzeugen können. Atmosphärisch ist er aber gelungen: Die ruhige Bildsprache und das detaillierte Tondesign vermitteln eindringlich die abweisende Kargheit der winterlichen Alpenwelt. Und das ist angesichts des Kaiserwetters in Venedig durchaus ein kleines Kunststück.

„Safari“ kommt am 16. 9. in die österreichischen Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2016)

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