Venedig: Ein Zweipersonenstück in 3-D

Peter Handke schrieb die Vorlage zu „Les Beaux Jours d'Aranjuez“ für seine zweite Ehefrau, Sophie Semin. Sie spielt auch die Hauptrolle in dem Film von Wim Wenders, hier zu sehen mit Filmpartner Reda Kateb.
Peter Handke schrieb die Vorlage zu „Les Beaux Jours d'Aranjuez“ für seine zweite Ehefrau, Sophie Semin. Sie spielt auch die Hauptrolle in dem Film von Wim Wenders, hier zu sehen mit Filmpartner Reda Kateb.(c) Alfama Films
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Wim Wenders' Peter-Handke-Adaption „Les Beaux Jours d'Aranjuez“ erscheint in dem sonst (zu) ruhigen Festivalprogramm am Lido regelrecht radikal.

Es geht ruhig zu beim Filmfest von Venedig. Fast zu ruhig. Nicht nur aufgrund der Schutzmänner mit Schäferhunden und MPs, die von den hochgeschraubten Sicherheitsvorkehrungen am Lido zeugen, sondern auch, weil der diesjährige Wettbewerb der Kinomostra bisher kaum Grund zur Aufregung geboten hat. Nach einer beschwingten Eröffnung mit dem Musical „La La Land“ war er bestimmt von schwerfälligen, überambitionierten Prestigeprojekten mit Starbeteiligung, wie Derek Cianfrances tranigem Insel-Melodram „The Light Between Oceans“ (Österreich-Start: 9. 9.) und Denis Villeneuves Sci-Fi-Mystery „Arrival“, einer unheimlichen, aber auch unheimlich prätentiösen Begegnung der dritten Art. Und selbst die interessanteren Edelbeiträge – etwa Tom Fords „Nocturnal Animals“, der eine Liebes- und eine Rachegeschichte ineinanderfaltet – wären außer Konkurrenz besser aufgehoben gewesen. In solcher Gesellschaft erscheint ein Werk wie Wim Wenders' Peter-Handke-Adaption „Les Beaux Jours d'Aranjuez“, ein dialogintensives Beinahe-Zweipersonenstück in 3-D, regelrecht radikal.

Der Film beginnt mit strahlend schönen Sommerpostkartenansichten von Paris, melancholisch untermalt von Lou Reeds „Perfect Day“. Während der Song von Wenders' altem Freund zur Gänze ausgespielt wird, wandert die Kamera in ein bürgerliches Refugium am Rand der Stadt, um schließlich am Arbeitsplatz eines Autors zur Ruhe zu kommen. Dieser ist im Begriff, einen Text zu verfassen, dessen abstrakte Hauptfiguren – ein „Mann“ und eine „Frau“ – sich flugs in einer paradiesischen Gartenlaube vor dem Fenster materialisieren. Die elegante Gleitbewegung dieser Einstiegssequenz bezaubert. Doch die Kernsubstanz bildet das anschließende Gespräch auf Basis von Handkes „Aranjuez“-Theaterstück – eine Art Frage-Antwort-Spiel, bei dem über die Liebe räsoniert wird und die Frau dem Mann die Geheimnisse ihrer Begehrensstrukturen offenbart.

Doppelter Auftritt von Nick Cave

Ob man damit etwas anfangen kann, hängt davon ab, ob man der unverschämt poetischen Sprache des Autors verfällt; und ob man seiner eigentümlichen Geschlechteranalyse folgen will. Die Vorlage wurde für Handkes Ehefrau, Sophie Semin, geschrieben. Sie übernimmt im Film die weibliche Hauptrolle, ihre Performance ist stark und nuanciert. Dialogpartner Reda Kateb scheint im Vergleich nicht immer ganz zu wissen, was er tun soll, hat aber ohnehin weniger Text.

Die ersten Reaktionen auf „Aranjuez“ waren wenig enthusiastisch. Der Film ist tatsächlich streitbar, doch allein schon Wenders' abwechslungsreiche Inszenierung des Dialogs und seine fortlaufende Erkundung künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten von 3-D-Technik machen ihn sehenswert: Oft spielt er mit dem Hintergrund, belebt die idyllische Szenerie – über der trotz allem Traurigkeit hängt – mit kleinen Details. Außerdem gibt es darin einen Gastauftritt von Nick Cave, der als musikalisches Intermezzo seine vielleicht schönste Liebesballade „Into My Arms“ zum Besten geben darf.

Diese Szene bot nicht die einzige Möglichkeit, Cave am Lido in 3-D zu erleben. Außer Konkurrenz hatte hier auch „One More Time with Feeling“ Premiere, Andrew Dominiks zum Teil stereoskopisch gedrehte Schwarz-Weiß-Doku über den Ausnahmesongwriter. Cave, der mit dem Regisseur befreundet ist, hat sie selbst in Auftrag gegeben und finanziert. Nach dem Unfalltod seines 15-jährigen Sohns Arthur im Sommer 2015 hatte er verständlicherweise wenig Lust, sich zwecks Vermarktung seines Albums „Skeleton Tree“ den Medien zu stellen, und „One More Time with Feeling“ ist auch als Ersatzbotschaft an seine Fans gedacht. Es ist ein berührendes Stückwerk geworden: Promo-Film, Trauerarbeit, Künstlerporträt, Bekenntnislyrik und Musikvideo-Kompendium in einem.

Interviewpassagen und Voice-Over-Notizen des Musikers behandeln frei von Schmerzensvoyeurismus dessen Umgang mit dem Trauma, ergänzt von stilisierten Studio-Darbietungen der neuen Songs – düster-mäandernde Beschwörungen von Hoffnung, wo es keine gibt. Am 8. September, einen Tag vor der Albumveröffentlichung, wird der Film in ausgesuchten Kinos zu sehen sein – auch in Wien, Linz, Graz, St. Pölten und Innsbruck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2016)

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