Marie Kreutzer: Alles richtiger machen

Marie Kreutzer.
Marie Kreutzer.(c) Christine Ebenthal
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In ihrem neuen Film erzählt Marie Kreutzer von Wiener
Bobos, die Eltern werden – und dabei an ihren eigenen
Ansprüchen scheitern.

Als Marie Kreutzer vor fünf Jahren Mutter wurde, erlebte sie Dinge, von denen sie gedacht hatte, dass sie sie nie erleben würde, fand sich in Situationen wieder, von denen sie sicher gewesen war, dass ihr das nie passieren würde. Und natürlich passierte es trotzdem. „Ich bin dann auch heulend auf dem Boden im Supermarkt gesessen, als meine Tochter ausgeflippt ist, ich glaube nicht nur einmal. Man führt auf offener Straße Gespräche über die Ausscheidungen der Kinder oder über das Abstillen, und manchmal sieht man sich dann von außen und fragt: Was ist los? Wie bin ich hier gelandet, was hat mich so ruiniert?“

„Was hat uns bloß so ruiniert“, so heißt der neue, dritte Spielfilm der steirischen Regisseurin, die 2011 mit „Die Vaterlosen“ ihr Spielfilmdebüt gab und mit „Gruber geht“ einen Bestseller verfilmte. In ihrem neuen Film erleben drei befreundete Paare die Freuden und Leiden der Elternschaft. Es sind coole, erfolgreiche Leute, die da am Anfang gemeinsam um den Esstisch sitzen und Sekt trinken, als das erste Paar die frohe Botschaft verkündet. Bald folgen die nächsten Schwangerschaften, und die Freunde schwören sich, alles richtig zu machen, richtiger als alle Eltern zuvor, und dabei natürlich nicht spießig zu werden oder ihre Coolness zu verlieren oder ihre Freundschaft. Und dann sitzen sie doch irgendwann auf winzigen Sesseln im Quartier der Kinderkrippe und diskutieren, ob Rosinen im Müsli gesund sind – oder Gift.

Pseudoindividuell. Der Filmtitel (entlehnt aus einem Lied der „Sterne“), den Kreutzer gegen den anfänglichen Widerstand der Produktionsfirma und des Verleihs durchgesetzt hat, beziehe sich nicht nur auf die Veränderungen, die die Elternschaft bringt, sondern auch auf das Phänomen der Bobo-Kultur, der ja auch die Protagonisten in Kreutzers Film zweifelsfrei angehören. „Wie sind wir so geworden, so konsumgeil, so anspruchsvoll, so verwöhnt?“, fragt sich Kreutzer. Bobo, das heißt bourgeois und zugleich bohémien, für Kreutzer ist das Phänomen längst in der Mittelschicht angekommen. Was bedeutet das, ein Bobo zu sein? „Ein Optimierungswahn auf allen Ebenen, eine Pseudoindividualität. Man will eigenständig sein, und gleichzeitig trotzdem gefallen. Man will es besser machen als alle anderen, und man glaubt echt, dass man besser ist. Ein Kind ist auch so ein Projekt.“

Eine Erfahrung, die viele Mütter machen, über die aber lang geschwiegen wurde, fand im Vorjahr über eine israelische Studie und daraufhin über den Hashtag #regrettingmotherhood den Weg in die öffentliche Diskussion. Dass man die Entscheidung, Mutter geworden sein, auch bereuen kann – und dass man seine Kinder lieben, seine Rolle als Mutter aber hassen kann –, galt als unaussprechlich. Auch deshalb kann Kreutzer die Bewegung verstehen: „Das ist ja nur die Gegenbewegung zu dem Druck, den es noch immer gibt: dass du als Mutter dein Ego hintanstellen und dankbar und glücklich sein musst. Aber es ist manchmal so hart, und man ist so unglücklich, und mir ging es überhaupt nicht gut in den ersten Monaten als Mutter. Und ich finde es gut, dass man sagen darf: Es ist auch g’schissen.“

Dass die Paare im Film ihre Kinder lieben, stehe außer Frage, sagt Kreutzer – das gilt auch für die von Pia Hierzegger gespielte Anti-Mutter Ines, laut ihrem Partner (Manuel Rubey) eine „Impfgegnerin aus Schleißigkeit“, die anfangs, von der eigenen Schwangerschaft überrumpelt, sagt, ihr Kind bekomme ihren Bauch für neun Monate, dann sei Schluss. Auch aus ihr wird eine liebevolle Mutter werden. „Aber Mutterschaft ist eben nicht das ultimative Ziel“, sagt Kreutzer. „Und es ist ja immer noch so in der Gesellschaft, dass Muttersein ganz viel nimmt an beruflichen Möglichkeiten und dass es fast nie die Männer einschränkt.“

Dass es auch anders sein könnte, zeigt Kreutzer in ihrem Porträt der drei Paare, die allesamt unterschiedliche Zugänge zu Elternschaft und Familienleben haben. „Mir war es wichtig, ganz unkommentiert zu zeigen, dass es in zwei dieser Kleinfamilien eher der Mann ist, der den Alltag mit dem Kind bestreitet. Es ist mein Wunsch, dass das irgendwann ganz normal ist.“

Sollen ihre Filme da eine Vorbildwirkung ausüben? „Ja und nein“, sagt Kreutzer. Sie will die Gesellschaft authentisch abbilden – und erzählt etwa von ihrem letzten Film „Gruber geht“, in dem die weibliche Hauptrolle der Enddreißigerin auch wirklich von einer Enddreißigerin gespielt wird – in der Filmindustrie keine Selbstverständlichkeit. Während es für über 40-jährige Schauspielerinnen schwer sei, gute Rollen zu finden, sei das für die männlichen Kollegen kein Problem. „Da gibt es eine totale Schieflage und Ungerechtigkeit. Da haben wir als Filmemacher und Filmemacherinnen wirklich eine Verantwortung.“ Nicht in deren Verantwortung liege es allerdings, nur vorbildhafte Figuren zu zeigen, die nicht rauchen, nicht böse sind, und nichts sagen, was man nicht sagen sollte, so Kreutzer: „Politische Korrektheit darf es im Kino nicht geben. Das muss ein freier Raum sein.“

Lachen und weinen, bitte. Die Regisseurin dreht gern mit einem bewährten Team aus Darstellern – vor allem Hierzegger bezeichnet sie als Wegbereiterin, ohne die sie bisher keinen Film gemacht hat. Auch in ihrem nächsten Projekt, der gerade abgedrehten Stadtkomödie „Die Notlüge“ für den ORF, ist die Grazer Schauspielerin dabei: „Es geht um ein Familientreffen mit Hindernissen.

Persönlich liebt Kreutzer Filme, die zum Lachen wie auch zum Weinen anregen: Das 70er-Jahre-Porträt „Der Eissturm“ von Ang Lee hat sie ermutigt, Regisseurin zu werden, als Lieblingsfilme nennt sie auch dem Liebesfilm „Arizona Dream“ von Emir Kusturica oder „Les choses de la vie“ von Claude Sautet, Woody Allen oder „Frances Ha“ von Noah Baumbach. Die Ideen für ihre eigenen Filme kommen ihr unterwegs, im Auto oder Zug. Ihr nächster Kinofilm namens „Der Boden unter den Füßen“ ist gerade in der Entwicklungsphase: Es wird ein Drama über zwei Schwestern werden, die eine karrierefixiert, die andere psychisch krank. „Chaos und Ordnung“ wird das Überthema sein: „Es geht um die Beziehung der beiden und um psychotische Anteile in der objektiv gesehen gesunden Schwester.“

Tipp

„Was hat uns bloß so ruiniert“. Der dritte Spielfilm von Marie Kreutzer, mit Manuel Rubey, Pia Hierzegger, Vicky Krieps, Marcel Mohab, Pheline Roggan und Andreas Kiendl, ab 23. September im Kino.

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