"Swiss Army Man": Der Furz als Freiheitssymbol

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"Swiss Army Man" über eine multifunktionale Leiche ist bei aller Albernheit ein emotionales, bittersüßes Drama.

Wer kennt das nicht? Man steckt seit Wochen auf einer einsamen Insel fest und ist gerade im Begriff, sich aus Verzweiflung aufzuhängen, als ein Anzug tragender Leichnam an den Strand gespült wird und dem Suizidversuch mit unablässigen Blähungen das angemessene Pathos raubt. Bei näherer Inspektion erweist sich dessen Flatulenz jedoch als Hochdruckmotor, und kurz darauf reitet man jubelnd auf einem Jetski-Kadaver über das Meer. In „Swiss Army Man“ erscheint dieses Szenario wie das Natürlichste auf der Welt – und da hat die außergewöhnliche Filmgroteske gerade einmal den Vorspann erreicht.

Ersonnen wurde sie vom jungen US-Regieduo Daniel Scheinert und Daniel Kwan, die in den vergangenen Jahren als „The Daniels“ vor allem mit Musikvideos für Aufsehen sorgten. Ihr Markenzeichen: eine Kombination aus absurdem Konzept, einfallsreichen Effekten und tolldreister Körperkomik. In ihrem ersten Kurzfilm, „Interesting Ball“, wird ein Mann vom Hintern eines anderen aufgesogen. Das passt gut ins Internet, doch auch der Sprung auf die große Leinwand ist gar nicht so abwegig: Denn unter den Schrullen von „Swiss Army Man“ steckt – durchaus vergleichbar mit „Being John Malkovich“ oder „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ – ein bittersüßes Drama mit existenziellem Kern. Dass es aufgeht, verdankt sich nicht zuletzt den Leistungen der Hauptdarsteller, die ihre Sache ernster nehmen, als man meinen könnte.

Den gestrandeten Hank gibt Paul Dano, Hollywoods Spezialist für Melancholiker mit Hundeblick. Den toten Mann spielen darf Daniel Radcliffe, und es ist fraglos seine herausforderndste Rolle seit dem Ende der „Harry Potter“-Reihe. Nach dem eingangs beschriebenen Wellenritt landet Hank am Festland und muss sich seinen Weg durch das Dickicht zur Zivilisation bahnen. Dabei erweist sich die Leiche namens Manny erst als sprachbegabt und kurz darauf als Multifunktionstool, das Frischwasser kotzen, Baumstämme spalten und seinen Penis als Kompass nutzen kann. Im Lauf der Odyssee gewinnt sie Stück für Stück ihre Menschlichkeit wieder, und Radcliffes Performance schwingt sich vom stocksteifen, nuschelnden Slapstick-Hautsack zu ungeahnter Emotionalität auf.

Sie pupsen sich in die Wirklichkeit

Parallel entblättert sich Hanks Vergangenheit, und bald ist klar, dass der Film bei aller Albernheit eine Parabel über Einsamkeit und Scham darstellt, die sich den Furz zum Freiheitssymbol erkoren hat. Mannys unverblümte Körperlichkeit wird zum Katalysator eines inneren Wandlungsprozesses, und gemeinsam pupsen sich die beiden unverhofften Freunde zurück in die Wirklichkeit. Den Weg pflastern zahlreiche Montagesequenzen, die den Musikvideohintergrund der Regisseure durchscheinen lassen – manchmal wünscht man sich in dieser Hinsicht etwas mehr Zurückhaltung. Der A-cappella-Soundtrack, den die Figuren zum Teil ganz musicalhaft in die Filmrealität hineinsingen, ist zwar sehr schön, aber zuweilen rückt sein Einsatz die Stimmung doch arg in die Nähe von Mobilfunkreklame-Inspirationskitsch. Zum Glück vermeidet „Swiss Army Man“ tunlichst, seine Erbaulichkeitserzählung in klischeehaftes US-Indie-Kino-Wohlgefallen aufzulösen. Der Schluss scheut den bitteren Boden der Tatsachen nicht. Und seine Fürze hallen nach: Das nächste Mal, wenn ein schüchterner Bekannter einen verstohlenen Darmwind entlässt, wird man diesem womöglich statt eines bösen Blicks eine Umarmung schenken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2016)

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