Massen, Morde, Raserei: Die U-Bahn im Kino

(c) Sony
  • Drucken

Eingeschlossen und unter der Erde – das klingt eigentlich schon nach Schwierigkeiten. Kein Wunder, dass im Kino immer wieder Aufregendes in U-Bahnen passiert.

Ein Kerl steigt in die U-Bahn, hier in L. A., und stirbt. Glaubst du, dass das irgendjemand mitkriegt?“ Was der von Tom Cruise gespielte Profikiller in Michael
Manns Thriller Collateral (2004) sagt, um seine Abneigung gegen Los Angeles zu erklären, erzählt eigentlich mehr über eine der Ängste, zu deren Beschwörung das Kino öfters ins U-Bahn-Netz abgetaucht ist: Gleichgültigkeit (in) der anonymen Masse.

Die in Collateral erzählte Geschichte vom Toten, der stundenlang unbemerkt unterirdisch herumfährt, hat vorzügliche Vorläufer: Im legendären Gruselkrimi The Seventh Victim (1943) sieht die Heldin einen Mann in der U-Bahn sitzen, dessen Ermordung sie zuvor beobachtete. Zwei Männer stützen die Leiche, niemand reagiert . . . Die parodistische Variante dieses Alptraums bot Alan Arkins absurde Großstadtkoller-Komödie Little Murders (1971): Da will auch niemand die Blutflecken zur Kenntnis nehmen, die vom weißen Anzug strahlen, mit dem Elliott Gould in den Waggon steigt.

Der klaustrophobische Faktor der U-Bahn ist auch nicht zu unterschätzen. Viele Krimis haben ihn genutzt, etwa Joseph Sargents New-York-Klassiker The Taking of Pelham One Two Three (1974), hierzulande unter dem schönen Titel Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 1-2-3 bekannt. 1998 gab es eine schwache TV-Version mit Edward James Olmos, das aktuelle Kino-Remake – auf Deutsch entschieden einfallsloser Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3 betitelt – ist hingegen grundsolide: Exzess-Regisseur Tony Scott gönnt sich zwar ein paar Schnellschnittorgien, hält sich aber in den Grundzügen ans Original, wenn auch mit weniger Lokalkolorit. Ansonsten sind die Hauptdarsteller des Katz-und-Maus-Spiels deutlich dicker geworden: Sowohl Denzel Washington (statt Walter Matthau) als über Sprechfunk verhandelnder Verkehrspolizist als auch John Travolta (statt Robert Shaw) als Anführer der Entführer, die bereit sind, ihre Geiseln zu töten. Die anderen Änderungen haben weniger Auswirkung auf die Handlung, als dass sie etwas über den Zeitgeist verraten – so ist der New Yorker Bürgermeister nun nicht mehr eine reine Witzfigur, und die rundum erneuerte, sich erst spät offenbarende Identität des Oberschurken ist auch bezeichnend.

Gut versteckt. Ein wenig populistische Sozialkritik schwingt da mit: Als geschlossene Räume eignen sich U-Bahn-Wagen für einschlägige Gesellschaftsquerschnitte. In The Incident (1967) von Larry Peerce halten zwei Halbstarke die Insassen fest, die beschäftigen sich aber weiter hauptsächlich mit ihren eigenen Problemen. In Anthony Harveys Dutchman (1967), einem Zweipersonenstück zur – wie man damals sagte – Rassenfrage, verführt eine Weiße im Untergrund einen Schwarzen.

Als unterirdischer Ort ist die U-Bahn auch ein gutes Filmsujet für Verstecke und Unheimliches: Die Verfolgungsjagden vieler Thriller führen in Tunnels oder leben vom Wechsel zwischen Wagen, wie in den Klassikern French Connection (1971, wo Regisseur William Friedkin nahtlos überirdisch anschloss: mit der berühmten Auto-Hochbahnraserei) und Le samourai (1967), wo Jean-Pierre Melville die Polizeiüberwachung seines Eiskalten Engels Alain Delon mit unvergleichlich kühler Eleganz orchestrierte. Aber in den finsteren Gängen kann man auch auf anderes stoßen: Rieseninsekten wie in Guillermo Del Toros Horrorfilm Mimic (1998), Lex Luthor (dessen Hauptquartier im ersten Superman-Film unter der Grand Central Station liegt), die zu Menschenfressern gewordenen Nachkommen jahrzehntelang eingeschlossener Bauarbeiter in Gary Shermans London-Schocker Death Line (1972) und verdrängte Erinnerungen in Giulio Questis Mystery-Meisterwerk Arcana (1972).

In der britischen Kult-TV-Serie Quatermass and the Pit (1958) und dem Film-Remake von 1967, das den deutschen Titel Das Blut der Grünen Dämonen verpasst bekam, führt ein Fossilfund in der U-Bahn gar zur Erkenntnis, dass die Menschheit von den Marsianern auf Mord programmiert wurde. Da will man sich dann gern mit dem vielleicht originellsten aller U-Bahn-Entwürfe ins Nirwana entführen lassen: Im argentinischen Moebius (1996) verschwindet ein Zug, aber ist noch zu hören – und der zur Klärung geholte Mathematiker folgt der Spur in ein unendliches Labyrinth.

Tipp: Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3 ab 25.9 im Kino. Erwähnte Filme sind auf DVD erhältlich.

Untenrum

Interior N.Y. Subway, 14th St. to 42nd St. (1905). Die fünfminütige Pioniertat des legendären Kameramanns G.W. „Billy“ Bitzer zeigt genau, was der Titel verspricht: einen „Phantom Ride“ aus der Fahrerperspektive.

Pickup On South Street (1953). Sam Fullers Krimi über Taschendieb Richard Widmark beginnt mit einer atemberaubenden Demonstration von dessen Fähigkeiten im vollen Waggon.

Bananas (1971). Böse Überraschungen mit Schlägern in der U-Bahn sind im Kino nicht selten – aber in diesem Frühwerk gerät Woody Allen ausgerechnet an den damals noch unbekannten Sylvester Stallone!

Firefox (1982). Für Wiener ist Clint Eastwoods Kalter-Krieg-Krimi kultig: Weil in Russland nicht gedreht werden durfte, dienten Otto Wagners Jugendstilstationen als Moskau-Ersatz.

Barres (1984). Kurzfilm-Meis­terwerk von Luc Moullet: Eine komische Demonstration aller Methoden, die er kennt, um die Absperrungen der Pariser Metro-Eingänge zu überlisten.

King of New York (1990). Ein magischer Moment von Abel Ferrara: Gangsterkönig Christopher Walken fährt nach der Haftentlassung wieder U-Bahn. Alleine.

Die Stille vor Bach (2007). Der ungewöhnliche und geniale Europa-Essay des Katalanen Pere Portabella zeigt viele Bach-Darbietungen – etwa vom Streichorchester in der fahrenden U-Bahn.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.