Ilija Trojanow: „Ich las wie ein Staubsauger“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Schriftsteller Ilija Trojanow im Gesprächt mit der "Presse" über die Verfilmung seines erfolgreichen Debütromans, seine Flucht aus Bulgarien und die Gefahren der Globalisierung.

„Die Presse“: In Ihremnun verfilmten Debütroman „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ (1996) ist eine Flucht aus dem kommunistischen Bulgarien zentral. Sie selbst flohen als kleines Kind in den Westen, mit Ihren Eltern, 1971. Erinnern Sie sich daran noch?

Ilija Trojanow: Sehr gut sogar. Mit der Flucht setzt meine kontinuierliche Erinnerung ein. Ich war sechs Jahre alt, von der Zeit davor habe ich nur Fetzen, Fragmente. Wir machten eine Reise, hatten Urlaub. Von der Flucht sagten mir die Eltern niemals explizit etwas. Eines Nachts saß ich auf den Schultern des Vaters. Wir wateten durch einen Grenzfluss.

Wie reagieren Menschen, die Ähnliches erlebt haben, auf Ihr Buch?

Trojanow: Bei Lesungen sprechen mich viele darauf an, sie finden sich in dieser Beschreibung wieder. Auch solche, die nach dem Zweiten Weltkrieg flüchten mussten. Jene, die in italienischen Flüchtlingslagern waren, sehen das trotz der Überzeichnung so.

Wo haben Sie die raffinierte Art gelernt, vielschichtig zu erzählen?

Trojanow: Ich las wie ein Staubsauger, pro Tag ein Buch, auch viel englischsprachige Literatur, weil ich in Kenia aufwuchs. Für mich ist die Literatur wie ein großer Strom.

Was bedeutet Ihnen bulgarische Dichtung?

Trojanow: Verallgemeinernd fällt auf, dass sie noch immer recht apolitisch ist. Es fehlen Romane, die intensiv die kommunistische Diktatur behandeln. Das Märchenhafte dominiert, wie es während der Zensur als Parallelwelt nötig war. Es gibt noch starke Spuren vorchristlicher Bräuche. Ich empfinde Bulgarien als das heidnischste Land Europas, mit einer Tradition des Aberglaubens.

Stimmt es, dass dort die alten Kräfte wieder an der Macht sind?

Trojanow: Es ist viel schlimmer, als man denkt.

Sie sagen mit etwas Bedauern, dass die Politik wenig Rolle in der Literatur spielt. Ihr Buch ist im Vergleich zum Film subtil zurückhaltend.

Trojanow: Der Roman mag wirklich nicht so plakativ sein, aber ich glaube, dass er doch auch politisch, dass viel von der bulgarischen Realität zu spüren ist. Der Film reduziert diese auf einige prägnante Szenen. Er braucht direktere Kausalität. Die komplexe Vielfalt kann im Roman eher erfasst werden

Waren Sie mit der Verfilmung zufrieden?

Trojanow: Mäkeln wäre kleingeistig. Verkauft man Filmrechte, muss man sich damit abfinden, dass ein eigenes Kunstwerk entsteht. Der Roman ist nicht Blaupause, sondern Inspirationsfläche. Deckung erwartete ich keine, war aber erstaunt über die Langsamkeit des Prozesses. Also zog ich mich bald aus dem Projekt zurück, weil es so viel Zeit raubt.

Stört Sie nicht das Sentimentale?

Trojanow: Regisseur Stephan Komandarev wollte bewusst, dass das bulgarische Kino an das internationale, populäre, erzählende Familiendramakino wie in Hollywood oder Bollywood anschließt, nichts sperrig Experimentelles wie sonst im Lande üblich. Das Endprodukt entspricht seinen Intentionen.

Der Film erzählt eine sehr persönliche Geschichte. Waren Sie auch versucht zu weinen?

Trojanow: Die Szene, als die Mutter entscheiden muss, welchen von zwei Gobelins sie auf die Flucht mitnehmen kann. Sie nimmt zufällig das Bild mit dem Segelboot, das auch bei uns hing. Das war nicht mit dem Regisseur abgesprochen. Es berührte mich. Plötzlich war es, als ob die Autobiografie anklopfte. Sonst ist das meiste erfunden.

Wie hat sich die Situation für Asylanten seit dem Erscheinen des Romans 1996 entwickelt?

Trojanow: Im Buch steht, dass die Aufnahme, die ein Flüchtling erfährt, stets die Differenz zwischen den Zivilisierten und den Barbaren ausmachte. Enttäuschung ist überall, ein Staat wie Österreich hat das Asylrecht inzwischen praktisch abgeschafft. Die Sache ist aktueller denn je. Das ist eine Schande für uns alle, ein Zynismus sondergleichen.

Sie lebten als Kind der Globalisierung in Afrika, Indien, Europa. Wie sehen Sie diese Welt?

Trojanow: Es gibt zweifellos eine kleiner werdende, dafür umso mächtigere und reichere Elite, aber auch klare Ghettoisierungstendenzen. Man sondert sich ab, die Sicherheitsindustrie boomt. Wehrhafte Mauern werden errichtet für die Oasen des Wohlstandes, die wie virtuelle Welten jenseits des Chaos sind. Die Länder mit selbstverständlichem demokratischem Miteinander sind inzwischen an einer Hand abzuzählen. Wir haben eine globalisierte Vernetzung von Interessen, Einfluss und Macht. Das kann nicht gut gehen.

Zur Person

Ilija Trojanow (*1965, Sofia) floh 1971 mit seiner Familie aus Bulgarien in die BRD, erhielt dort politisches Asyl. Wegen des Ingenieursjobs des Vaters wuchs Trojanow in Kenia, Deutschland und Paris auf. Erst schrieb er Sachbücher und Reiseführer über Afrika. Mit „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ gelang ihm 1996 ein erfolgreiches Romandebüt. U.a. folgten das Science-Fiction-Projekt „Autopol“ (1997) und der Roman „Der Weltensammler“ (2006) über Forscher Richard Francis Burton sowie viele Essays, Reportagen, Sachbücher. Der vielfach preisgekrönte Autor lebt in Wien. [Zötl]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2009)

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