Metro-Kino: NS-Propagandafilme nur mit Einführung

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„Es gehört zum demokratischen Selbstverständnis, dass man diese Filme dem Publikum nicht kritiklos vorsetzt“, erklärt Historiker Stern, ein Kurator der Schau, die von 4. bis 30. November im Metro-Kino läuft.

Kein verspäteter Einlass möglich!“ Fettgedruckt prangt der Hinweis unter der Programmbeschreibung der Retrospektive des Filmarchivs Austria im Wiener Metro-Kino. Doch es geht nicht um die Wahrung der Aufführungsintegrität. Verhindert werden soll der unkritische Konsum gefährlichen Gedankenguts – zu sehen gibt es nämlich „Vorbehaltsfilme“: NS-Leinwandpropaganda aus den Jahren von 1933 bis 1945.

Die Gefühlsmaschine Kino war den Nationalsozialisten bekanntlich ein dienliches Indoktrinierungsinstrument, dem Propagandaminister Joseph Goebbels besonderen Wert beimaß. Über ein Viertel der rund 1200 unter dem NS-Regime produzierten Filme wurde nach Kriegsende von den Alliierten aufgrund ihres ideologischen, rassistischen oder kriegsverherrlichenden Inhalts verboten, zum Teil auch wegen einer Überpräsenz einschlägiger Symbolik. 1949, nach Gründung der deutschen Filmprüfstelle FSK, dünnte die Liste schnell aus: Viele Produktionen wurden freigegeben und auch neu aufgeführt – oft in auf zweifelhafte Weise von kompromittierenden Elementen bereinigten Fassungen. 1966 gingen die Rechte eines Großteils der NS-Propagandafilme an die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, die sie bis heute verwaltet. Rund 40 Titel stehen nach wie vor unter Vorbehalt: Sie dürfen nur mit Erlaubnis der Stiftung sowie „wissenschaftlich kompetenter Einführung und anschließender Nachbesprechung“ gezeigt werden.

Auch scheinbar harmlose Unterhaltung

Viele von ihnen lassen sich freilich heute im Internet ausfindig machen – in schlechter Qualität zwar, aber dennoch. Das war einer der Beweggründe für die aktuelle Schau, wie Frank Stern, Professor am Wiener Institut für Zeitgeschichte und einer der verantwortlichen Kuratoren, im „Presse“-Gespräch erläutert: Sie soll eine bewusste Auseinandersetzung mit den Filmen in einem zeit-, kultur- und filmgeschichtlichen Kontext ermöglichen, zumal Kernpunkte der NS-Ideologie heute in abgewandelter Form wieder virulent zu werden drohen. Die Einbettung der Vorführungen in Einleitungen und Diskussionen –daher auch das Verspätungsverbot– sieht Stern nicht als Bevormundung: „Das ist kein Zwang von oben. Es gehört zu einem demokratischen und humanistischen Selbstverständnis, dass man diese Filme dem Publikum nicht kritiklos vorsetzt.“

Präsentiert werden explizite Hetzfilme wie Veit Harlans antisemitischer (und damals immens erfolgreicher) „Jud Süß“, aber auch scheinbar harmlose Unterhaltung, die ihre Botschaften geschickt in Genrekonventionen zu gießen versteht. Etwa die UFA-Musikkomödie „Robert und Bertram“, in der man mit fröhlichen Weisen auf Ressentiments eingeschunkelt wird, oder der orientalistische Vorkriegs-Actionthriller „Alarm in Peking“, der seine Kameradschaftsrhetorik als Völkerverständigungsfantasie verkleidet. „In dem Augenblick, da eine Propaganda bewusst wird, ist sie unwirksam“ – so legte Goebbels schon 1933 in einer Rede seine Zielsetzung an das NS-Filmwesen fest. Insofern bietet die Retro, die im Frühjahr 2017 fortgesetzt wird, nicht nur Anschauungsmaterial für verwerfliche Inhalte, sondern auch Fallstudien von Manipulationsstrategien. Und sie wirft ein Schlaglicht auf die Tendenzkinoproduktion der österreichischen Firma Wien-Film: Sie zeichnet etwa für „Heimkehr“ mit Paula Wessely verantwortlich, einen Film, der mit einem Opfermythos um die wolyniendeutsche Minderheit rückwirkend den Polen-Feldzug legitimiert.

Es mag befremdlich klingen, aber NS-Propagandafilme werden zu selten gezeigt – die letzte ausführliche Schau zum Thema gab es in Wien vor über zehn Jahren. Die Beschäftigung mit den Mechanismen dieses Kinos bleibt indes aktuell, und der Mangel an sachgemäß aufgearbeiteten DVD-Editionen befeuert nur seine Mythisierung als verbotene Frucht. Auch deshalb löst jede Retro dieser Art Debatten über die Aufhebung der Vorbehalte aus. So weit würde Frank Stern nicht gehen, die Veröffentlichung einer gut kommentierten, mit Bonusmaterialien versehenen DVD-Box ausgewählter Fallbeispiele würde er aber im Sinn politischer Bildung befürworten – „solange man sie nicht als billige Massenware auf den Markt wirft“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2016)

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