"Birdwatchers": Spiel noch ein Lied vom Tod!

(c) Filmladen (Marie Hippenmeyer)
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Der vibrierende Regenwald-Western von Marco Bechis begibt sich in das "Land der Roten Männer": Ein mitreißender Film über unversöhnte Ureinwohner.

Die Idee vom edlen Wilden erledigt sich nach wenigen Minuten. Eigentlich die Idee vom Wilden an sich: BirdWatchers, der großartige vierte Spielfilm des argentinisch-italienischen Regisseurs Marco Bechis, beginnt mit einem beeindruckenden Panorama des brasilianischen Regenwalds. Mitten auf einem breiten Fluss treibt ein Kahn mit weißen Männern und Frauen, die vom Anblick bemalter Eingeborener mit Pfeil und Bogen am Flussufer fasziniert sind. Als das Boot außer Reichweite ist, werden den Touristen kreischend ein paar Pfeile nachgeschossen. Dann marschieren die Indios in den Wald, wischen sich die Schminke aus den Gesichtern, schlüpfen in ihre Jeans, werden für die Darstellerdienste geringfügig ausbezahlt und ins Reservat zurückgefahren.

Der Filmemacher hat erzählt, dass es ihm bei der Vorbereitung von BirdWatchers selbst ein wenig ergangen sei wie den Touristen am Anfang. Bechis war in den Bundesstaat Mato Grosso do Sul im brasilianischen Landesinneren gekommen, um einen Film über „Indianer mit Pfeil und Bogen“ zu machen: So hätte er sich die letzten Ureinwohner vorgestellt, die Landnahme und Raubbau im Urwald überlebt haben. Doch stellte sich heraus, dass die Guaraní-Kaiowá, mit denen Bechis seinen Film machte, nicht mehr wirklich traditionell leben, sondern in stadtnahen Reservaten, und in Auftreten oder Kleidung – zumindest auf den ersten Blick – kaum als Indios auffallen.

Fröhliche Zoten statt Klischees

Auffällig ist dafür, wie BirdWatchers solchen Einsichten entsprechend Klischees zuwiderläuft, ohne groß Aufhebens zu machen. Bechis ließ sich von echten Vorfällen inspirieren, adaptierte das Drehbuch bei der Zusammenarbeit mit den Guaraní-Kaiowá. Die (tatsächlich) eskalierenden Selbstmorde unter den Jugendlichen des Stammes sind Ausgangsbasis: Kurz nach Beginn werden zwei Erhängte an Bäumen gefunden und unter verbitterten Zurufen der Angehörigen begraben. Ein Trupp Indios verlässt daraufhin das Reservat und improvisiert auf ihrem alten Territorium ein Lager aus Überresten.

Das Land der Roten Männer (so der Untertitel des Films) gehört freilich einem Rinderbaron und Grundbesitzer, der zu Gegenmaßnahmen greift. Billige Schwarz-Weiß-Malerei interessiert Bechis dabei nicht, wiewohl er die unerträgliche Situation der Indios als Folge einer systematischen Ausgrenzungspolitik ganz ungeschönt zeichnet: So schaukelt sich die Auseinandersetzung ausnehmend absurd auf. Ein im Wohnwagen neben dem notdürftigen Lager einquartierter bewaffneter Aufseher wird von einer Guaraní verführt, trägt ihr bald Wasser hinterher, während sie mit den Stammesgenossinnen fröhliche Zoten austauscht (wovon sie offenbar nie genug bekommen können).

Auch der indianische Nachwuchs verhält sich nicht eben erwartungsgemäß: Sogar ein Junge in Schamanenausbildung entwickelt lieber (durchaus gegenseitiges) Interesse an der Tochter der Grundbesitzers. Deren Vater wiederum erklärt am – trotz noch ausbleibender Handgreiflichkeiten bezeichnend unversöhnten – Höhepunkt der Konfrontation den Besetzern, dass er hier lebe und durch Arbeit von früh bis spät sein Land fruchtbar gemacht habe. Woraufhin sich ein Indio einfach wortlos eine Handvoll Erde in den Mund schiebt und zu kauen beginnt. Die unbehagliche Kombination aus gewitzter Schlagfertigkeit und unauflösbarem Antagonismus – der eine will seinen Besitz, die anderen wollen ihre (spirituelle) Heimat – ist typisch für die Qualität des Films.

Denn der verblüffende Wechsel der Tonlagen trägt zum Vibrieren von BirdWatchersebenso bei wie die Intensität eines klassisch erzählten Breitwanddramas, das den großen Dschungelfilmen von Werner Herzog ebenbürtig ist, aber eine entscheidende revisionistische Geste hinzufügt: Im Vordergrund sind ausschließlich die Ureinwohner – beeindruckend gespielt von echten Guaraní, die zuvor kein Kino kannten. Wie man für Filme spielt (und insbesondere: effektiv schweigt), hat ihnen Bechis mit Szenen aus Hitchcocks Die Vögel und Leones Spiel mir das Lied vom Tod demonstriert. Nachvollziehbar, dass der Macher BirdWatchers seinen Western nennt: Das ungleiche Duell mit den Einwanderern hat auch von Südamerikas Indianern nur ein Bruchteil überlebt. Bechis erzählt das so mitreißend und vor allem so vielschichtig, dass es fast noch mehr verblüfft als die Anfangsüberraschung, wenn zum Abspann geradlinige Werbung für das Guaraní-Projekt einer NGO kommt.

Ab Freitag in Wien und Graz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2009)

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