Michael Glawogger: Beim Globetrotter daheim

Michael Glawogger
Michael Glawogger(c) Michaela Bruckberger
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Cityguide: Für "Vaterspiel" hat Michael Glawogger im eigenen Grätzel gedreht. Der Regisseur über Generationskonflikte, Schlangenlederschuhe und den Film ohne Titel.

Einmal nur, sagt er, habe er wirklich Streit mit seiner Frau gehabt – „als ich damals für einen Film in unserer eigenen Wohnung gedreht habe“. So intim war es diesmal nicht, nicht das Wohnzimmer, nur das Grätzel war das eigene, aber trotzdem komisch: „Wenn man etwas zu gut kennt, ist es schwierig, eine Illusion zu kreieren“, sagt Michael Glawogger und verfrachtet den Laptop auf den Kaffeehaussessel.

Für die Verfilmung des Josef-Haslinger-Romans „Vaterspiel“, die am 27. November im Kino startet, drehte der Globetrotter unter den heimischen Regisseuren („Working Man's Death“, „Megacities“) wieder in Wien, unter anderem im 9. Bezirk, in den er „eingeheiratet“ hat und wo er wohnt, wenn er nicht „am Land“ (bei Wr. Neustadt) oder „in Asien“ (Wohnung in  Bangkok) weilt. 1982, als der Grazer für das Studium an der Filmakademie nach Wien kam, fand er es „kalt, grau und unfreundlich“ (eine der ersten Erinnerungen: das abweisende Jonasreindl). Heute erscheint ihm die Stadt, vor allem nach Asienaufenthalten, „leer, still und brav“. Aber er, der stets fast buddhistisch Freundliche, hat sich an die grantige Langeweile gewöhnt. Auch ans Café Stein, das für ein Studentenkaffeehaus immer zu chic war und auch noch ist.

Von hier ist es auch nicht weit zum NIG. Das Neue Institutsgebäude, dessen Entrée Glawogger so gut gefällt, ist im Film Schauplatz eines Studentenprotests. Er selbst, sagt er, war kein demonstrierender Student, aber ein politisch bewegter Mittelschüler, der einen „ziemlich linken“ Filmklub gründete. Auch Generationskonflikte (im Film reibt sich ein Sohn an seinem untreuen Vater, einem SPÖ-Bonzen, und eine Enkelin an ihrem Großvater mit NS-Vergangenheit auf) sind ihm nicht fremd.

„Ich erinnere mich an wütende Diskussionen mit meinem inzwischen verstorbenen Vater über den Zweiten Weltkrieg. Wenn ich heute ehrlich bin, muss ich aber in den Spiegel schauen und sagen: Du weißt heute nicht, was du damals gemacht hättest, ob du ein Nazi geworden wärst. Das ist ein wichtiger Punkt.“

Und ein Thema, das den Regisseur, interessiert. Die Ambivalenz von Gut und Böse, Schön und Grauslich, darauf ist er spezialisiert: Am liebsten sind ihm Situationen, in denen man einen „Knopf im Kopf“ bekommt, etwa wenn bei „Vaterspiel“ im Keller ein Massenmörder sitzt, der nicht bereut und den man trotzdem sympathisch findet. Vielleicht war die Szene mit ein Grund, warum Glawogger zustimmte, erstmals „fremden“ Stoff zu verfilmen, nachdem er sich vorher heftig („Ich habe sofort gesagt: Das Buch kann man nicht verfilmen“) gewehrt hatte.

Er & Schorschi. An eigenen Ideen würde es ja nicht mangeln. Im Gegenteil: Bei Schnittlauchbrot und „Verlängertem“ erzählt er von Teil drei seiner Saga über Sex („Nacktschnecken“), Drugs („Contact High“) & Rock'n'Roll: Die Protagonisten kaufen ein Hotel, es gibt eine Band und alle Hauptfiguren doppelt. Und auch der „Strizzi Schorschi“ (gespielt von Georg Friedrich) wird wieder dabei sein. „Mein geträumtes Alter Ego“, sagt Glawogger, „weil die Sachen, die der Schorschi anhat – Schlangenlederschuhe und Gürtel mit der Mutter Gottes drauf –,  taugen mir irrsinnig. Nur kann ich sie nicht anziehen, weil ich damit wie ein Vollidiot ausschaue“.  Die Folge: Er kauft sie trotzdem und gibt sie dann der Kostümbildnerin.

Neu im Kino. Apropos offene Wünsche: Wirklich wünschen würde sich Glawogger einen Dokumentarfilm ohne Titel, für den er „ohne die Sklaverei des Themas“ um die Welt reisen und filmen kann, was ihm vor die Kamera kommt. Bis es so weit ist, steht jedoch wieder ein Dokumentarfilm mit Wien-Beteiligung auf dem Plan: „Whores' Glory“. Thema ist freiwillige Prostitution. „Ich will nicht die übliche Suada der Ausbeutung und des Menschenhandels erzählen“, sagt er. Übliche Suada? „Das alles wird es geben“, meint Glawogger, „aber es ist nicht die Regel. Journalistisch wird das halt immer anders dargestellt“. Kurz: Mit Knopf-im-Kopf-Situationen ist zu rechnen. Und auch die Rechnung kommt. Glawogger muss weiter, nächster Termin. „Ich habe einen komischen Job“, sagt er und packt den Computer ein. „Ich habe nie das Gefühl, dass ich arbeite, aber auch nie, dass ich frei habe.“ Damit, dass er diesmal vor der eigenen Haustür gedreht hat, hat das freilich nichts zu tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2009)

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