"Millennium"-Thriller: Pippi Langstrumpfs Wiedergängerin

Lead actress Noomi Rapace and her husband Ola Rapace
Lead actress Noomi Rapace and her husband Ola Rapace(c) REUTERS (SCANPIX SWEDEN)
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Eine hochintelligente, verschlossene, gewalttätige Punk-Computerhackerin wird durch Stieg Larssons "Millennium"-Thrillertrilogie zur Kultfigur. Ein ungewöhnliches weibliches Role Model.

Als Schwede einen Krimi zu schreiben ist wohl ähnlich wie als Schwede ein Möbelhaus zu eröffnen. Man ist schneller drinnen in einer Schublade des Schreibtischs namens „Smådal“, als man schauen kann. Deshalb ist Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie, die schon 15 Millionen Mal verkauft wurde, in den Buchhandlungen verlässlich neben Henning Mankell, Liza Marklund und Kollegen zu finden. Dabei haben die drei zusammen fast 3000 Seiten starken Romane, die erst nach dem frühen Tod ihres Autors zu Bestsellern wurden, damit – bis auf einen schwedischen Autor – wenig gemein.

Der erste Teil „Verblendung“ (der im Original viel treffender „Männer, die Frauen hassen“ heißt) beginnt wie ein klassischer Kriminalroman. Der Journalist und Mitbegründer des Nachrichtenmagazins „Millennium“ (daher der Name der Trilogie) Mikael Blomkvist übernimmt einen Rechercheauftrag für den Großindustriellen Henrik Vanger, um das Verschwinden von Vangers Nichte zu klären, das Jahrzehnte zurückliegt (siehe dazu die Filmkritik).

Ist Salander im ersten Teil noch gleichberechtigte Hauptfigur neben Blomkvist und seiner Kollegin Erika Berger, mit der er eine von ihrem Ehemann geduldete Dreiecksbeziehung führt, wird die Erzählung mit dem zweiten Teil „Verdammnis“ („Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte“) zu einem minutiösen Psychogramm der jungen Hackerin, das inzwischen Millionen Leser in seinen Bann gezogen hat.

Lisbeth wird beschrieben als ein bleiches anorektisches Mädchen mit kurzen Haaren, Piercings und Tätowierungen („Sie sah aus, als wäre sie gerade nach einer einwöchigen Orgie mit einer Hardrockband erwacht“), das 24 ist, aber wie 14 ausschaut. Das geschätzte Alter ist übrigens das einzige wirkliche Manko der Salander-Darstellerin Noomi Rapace.

Salander ist unangepasst bis zur Verhaltensauffälligkeit, misstrauisch, einsilbig, aufbrausend, hochintelligent, verfügt über ein fotografisches Gedächtnis, verdient sich ihr Geld als Ermittlerin bei einer privaten Sicherheitsfirma, isst nur Fast Food, raucht, ist bisexuell, unromantisch und wird unter ihrem Decknamen „Wasp“ als Hackerlegende im Netz verehrt. Dieser Fähigkeit verdankt sie auch völlige finanzielle Unabhängigkeit, weil sie nach dem Selbstmord eines zwielichtigen Unternehmers auf dessen Schwarzgeldkontos zugegriffen hat.

Doch so klischeehaft diese Eigenschaften der Salander in der Kurzzusammenfassung auch wirken mögen, sie funktionieren und entwickeln einen richtigen Sog. Nicht nur weil Larsson Salander quasi als moderne Pippi Langstrumpf – Larsson fragte in dem einzigen Interview, das er zu den Büchern gegeben hat: „Wie wäre Pippi Langstrumpf als Erwachsene? Würde man sie heute eine Soziopathin nennen?“ – und damit als Märchenfigur konzipiert hat. Sondern weil ihre coole, unantastbare Art keine bloße Pose, sondern überlebensnotwendige Strategie ist.

Nach und nach wird nämlich klar, warum Lisbeth so wenig spricht, niemandem vertraut, alle Amtspersonen meidet, im Zweifelsfall auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, zu der die zierliche Frau jederzeit in der Lage ist. Ohne zu viel verraten zu können: Lisbeth hat als Kind ihrer Mutter geholfen, sich gegen den gewalttätigen Vater zu wehren. Das hat ihr die Bekanntschaft mit der Kinderpsychiatrie eingebracht und macht sie bis heute von den Launen ihres jeweiligen gesetzlichen Vormundes abhängig. Männer kommen in der Trilogie durchwegs katastrophal weg. Blomkvist, der letztlich Lisbeths vorsichtig aufgebautes Vertrauen durch seinen unaufmerksamen Umgang mit der Sexualität verliert, ist da nur bedingt eine Ausnahme.

Eine ähnlich unkonventionelle Figur ist jedenfalls in der modernen Krimiliteratur am ehesten in Patricia Highsmiths liebenswertem Psychopathen Ripley zu finden. Mehr Parallelen gibt es da noch im Kino: Luc Bessons drogensüchtige Profikillerin Nikita und natürlich Uma Thurman als Beatrix Kiddo in Quentin Tarantinos „Kill Bill“.

Wie überhaupt Tarantinos Frauenfiguren, die letztlich über ihre männlichen Peiniger triumphieren, indem sie es mit deren Brutalität aufnehmen, am ehesten als Vorlage dienen könnten. Wenn etwa Salander ihren Vormund, der sie brutal vergewaltigt hat, kalt mit einem Video dieser Vergewaltigung erpresst, ihn misshandelt und ihm als Erinnerung noch den Satz „Ich bin ein sadistisches Schwein“ auf die Brust tätowiert, hätte das wohl auch Tarantinos Bill geschreckt.

Pippi Langstrumpf ist übrigens nicht die einzige schwedische Ahnin Salanders. Larsson spielt mit der Ähnlichkeit zu Astrid Lindgrens Kinderbuchfigur Kalle Blomquist, indem er Mikael Blomkvist mit dem Spitznamen „Kalle“ necken lässt. Das einzige Mädchen in Kalle Blomquists Bande heißt wiederum Eva-Lotte Lisander. Auch sie eine Außenseiterin, denn sie will lieber Bub als ein Mädchen sein.

Trotzdem bleibt zu bezweifeln, ob Lisbeth Salander einverstanden gewesen wäre, ausgerechnet von einem Mann erdacht zu werden. Doch wenn schon, am ehesten von Stieg Larsson.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2009)

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