Shyamalan- Film „Split“: Wir warten auf die Bestie

Der persönlichkeitsgespaltene Kidnapper (James McAvoy) sucht bei seiner Therapeutin Karen (Betty Buckley) Hilfe.
Der persönlichkeitsgespaltene Kidnapper (James McAvoy) sucht bei seiner Therapeutin Karen (Betty Buckley) Hilfe.(c) UPI
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M. Night Shyamalans jüngster Film „Split“ über einen identitätsgestörten Kidnapper besticht mit meisterlichen Suspense-Szenen. Das Drehbuch hat Schwächen.

Soviel darf verraten werden, auch bei einem Film von Twist-Meister M. Night Shyamalan: Jene „23 verschiedenen Persönlichkeiten“, mit denen der identitätsgestörte Psychopath seines aktuellen Thrillers „Split“ laut Marketing aufwarten soll, sind eine leichte Übertreibung. Im Endeffekt lernt man nur vier davon wirklich kennen. Ein Etikettenschwindel, der an die reißerischen Werbeslogans klassischer B-Movies erinnert – und in seiner Absurdität fast schon charmant ist. Schließlich ist es nur schwer vorstellbar, dass eine Figur mit diesem Übermaß an Charakterfacetten tatsächliche Bedrohlichkeit ausstrahlen könnte. Der Held der surrealen Trash-Komödie „Die total beknackte Nuss“ schoss schon mit schmalen 14 weit über die Grenzen des Erträglichen hinaus.

Die Prahlerei der Prämisse sollte einen nicht abschrecken. Wie (fast) immer bei Shyamalan verdeckt der Kolportageaufhänger ein Genrestück, in dem bei aller Albernheit viel Herz und Handwerkskunst steckt. Nach Werken wie „The Sixth Sense“ und „Unbreakable“ als Wunderkind gefeiert, fiel der indischstämmige Regisseur mit einer Reihe kommerzieller Flops in Hollywood-Ungnade. Fehlgeleitete Ausflüge ins effektorientierte Fantasy- und Sci-Fi-Fach beschädigten seinen Ruf noch weiter, 2015 feierte er mit „The Visit“ ein Comeback. Die Found-Footage-Horror-Fingerübung spielte das 20-Fache ihres Kleinbudgets ein; „Split“ ist viel ambitionierter, aber fast genauso billig – denn die moderate Preisklasse ermöglicht Shyamalan eine gestalterische Autonomie, die bei Großfilmen undenkbar wäre.

Schon die erste Einstellung macht deutlich, dass hier jemand am Werk ist, der die Grundlagen visuellen Erzählens beherrscht: Ein Teenagermädchen sitzt am Rande einer Party, den Blick ins Abseits gerichtet, der Hintergrund bleibt unscharf. Viel schneller kann man das Außenseitertum einer Figur nicht etablieren. Casey (seit ihrem Auftritt in „The Witch“ zu Recht am aufsteigenden Ast: Anya Taylor-Joy) wurde nur aus Mitleid zur Geburtstagsfete eingeladen, doch es kommt noch schlimmer: Auf dem Heimweg wird sie zusammen mit zwei Klassenkameradinnen entführt und findet sich in einem Kellergefängnis wieder.

James McAvoy in Großaufnahme

Was der Kidnapper (James McAvoy) von ihnen will, wissen sie nicht – jedes Mal, wenn die Tür aufgeht, erscheint er als neuer Mensch. Mal zeigt sich der strenge Pragmatiker Dennis, dann wieder die joviale Gouvernante Patricia. Ab und zu auch der kindliche Hedwig, dessen Naivität Fluchthoffnungen weckt. Und Flucht ist angebracht: Alle drei prophezeien die baldige Ankunft einer nicht näher definierten Bestie. „Split“ staffelt meisterlich inszenierte Suspense-Szenen aus der Perspektive der Gefangenen, lange Schwenks und Fahrten vermitteln ein klaustrophobisches Raumgefühl. Doch die Kernattraktion des Films ist McAvoys Performance. Mit mimischen Eigenheiten – Shyamalan schenkt ihm bewusst zahlreiche Großaufnahmen – verleiht er jeder Persönlichkeit ein markantes Profil. Obwohl seine Figur eine groteske Überzeichnung psychischer Krankheitsbilder darstellt, bringt die Erzählung viel Sympathie für sie auf. In einer weniger biederen Welt gäbe es dafür eine Nominierung für den Schauspieloscar.

Das Drehbuch ist nicht frei von Schwächen. Mit knappen zwei Stunden Laufzeit ist „Split“ viel zu lang geraten, vor allem aufgrund von Passagen, in denen der Gespaltene seine Therapeutin Karen (Betty Buckley) aufsucht. Sie versuchen, dem bei aller Liebe doch ziemlich absurden Konzept des Films eine (pseudo-)wissenschaftliche Erdung zu geben, was nach hinten losgeht – hier wünscht man sich fast, ein Produzent hätte Einhalt geboten. Ergiebiger sind die Flashbacks, die Casey Kontur geben sollen. Anderswo hätte ihre Psychologisierung wie unnötiger Ballast gewirkt, aber Shyamalan nutzt sie als Basis eines größeren thematischen Überbaus über Traumabewältigung, der zwar etwas aufgesetzt wirkt, aber trotzdem berührt. Nicht jeder wird „Split“ dorthin folgen wollen, wo er letztlich landet – doch im Unterschied zu artverwandter Fließbandware entwickelt er eine eigenständige Identität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2017)

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