„Free Fire“: Anti-Action im Siebzigerjahre-Look

Sie hat das schmutzige Waffengeschäft eingefädelt: Brie Larson als Justine in Ben Wheatleys sechstem Film „Free Fire“.
Sie hat das schmutzige Waffengeschäft eingefädelt: Brie Larson als Justine in Ben Wheatleys sechstem Film „Free Fire“.(c) Einhorn Film
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In Ben Wheatleys „Free Fire“ eskaliert ein Waffendeal zu einer schwarzhumorigen Chaos-Ballerei. Ein Stolper-Scharmützel mit Grips, Witz und Drall – aber ohne Gewicht.

Zwei Menschen, für gewöhnlich Männer, stehen einander mit der Waffe im Anschlag gegenüber. Wer zuerst abdrückt, gewinnt. So stellt man sich die klassische Duellsituation im Kino vor: Gut gegen Böse, Recht gegen Unrecht, Freund gegen Feind. Vor allem der US-Western prägte dieses Bild. Dabei kam es darin seltener zu Binär-Geballer, als man glauben könnte – und so schnörkellos und manichäisch, wie das Klischee impliziert, ging es auch nicht immer zu. Selbst in Fred Zinnemanns „High Noon“ fehlt ein wirklich idealtypisches Duell. Aber die Prägnanz des Zweiermotivs setzte sich durch. Heute noch steht es für einfachere (Kino-)Zeiten, in denen der Moralkompass der Gesellschaft noch funktioniert haben soll.

Später, so die gängige Historiografie, führten abgeklärte Revisionen das Genre in Grauzonen. Die Evolution des Revolverkampfs spiegelt das wider: Sergio Leones Spaghettiwestern-Klassiker „The Good, the Bad and the Ugly“ stockte (wie der Titel schon verrät) das Duell mit seinem legendären „Mexican Standoff“ zum Triell auf. Das steigerte die Spannung, aber auch die Ambivalenz: Dreiecksbeziehungen sind bekanntlich komplex, sie erschweren Schwarz-Weiß-Malerei erheblich. Dennoch konnte man sich noch für eine Seite entscheiden, es gab weiter Sieger und Verlierer. Irgendwann war nicht einmal mehr das garantiert: Im vorwitzigen Neunziger-Bubenkino à la Tarantino stieg die Wahrscheinlichkeit, dass sich im Falle eines Waffengangs einfach alle gegenseitig über den Haufen schießen, enorm. Die Moral von der Geschicht? Jeder ist ein Bösewicht. Oder auch nicht. Egal. Tragikomische Absurdität, zuweilen auch kompletter Nihilismus, war damals angesagt. Das Finale von Tarantinos „Reservoir Dogs“ ist das bekannteste Beispiel für diese Art von Kamikazeschießerei.

Gefechte wirken wie Paintball-Partien

Nun hat das unberechenbare britische Regietalent Ben Wheatley mit „Free Fire“ so etwas wie ein indirektes Remake besagter Schlussszene gedreht – und sie auf 90 Minuten gedehnt. Der Plot des in den Siebzigern angesiedelten Films ist rudimentär: Ein IRA-Mann (Cilian Murphy) braucht heiße Eisen für den Guerillakrieg und trifft sich daher mit zwei Waffenschiebern (Sharlto Copley, Babou Ceesay) in einer verlassenen Lagerhalle. Mit dabei sind ein smartes Vermittlerduo (Brie Larson, Armie Hammer) und Handlangerpaare. Alle sind angespannt, keiner traut keinem. Es dauert nicht lange, bis ein Mücken-Zank zum Elefanten-Kreuzfeuer eskaliert. Bald liegt die ganze Bagage jammernd im Dreck, mit Schusswunden und einem einzigen Ziel: die Rettung der eigenen Haut.

„Free Fire“ ist ein Anti-Actionfilm: Er kümmert sich nicht um Kanonenballett und Kampfchoreografie. Stolpernde Stümper mit marginaler Trefferquote ballern blindwütig um sich, humpeln von Deckung zu Deckung, schreien, schimpfen, streiten. Niemand kennt sich aus (vielleicht, weil der Schnitt keinerlei Raumverständnis vermittelt), und obwohl es um Leben und Tod geht, wirkt das Gefecht wie eine Paintball-Partie. Auch dem Regisseur ist das Scharmützel bloßes Spiel, trotz versprengter Realismuseffekte (die Halle ist voller Schutt und Scherben, die sich gern in tapsende Hände bohren).

Am Anfang betont Wheatley die Lächerlichkeit des Geschehens, indem er völlig auf Musik und Kameraschnörkel verzichtet, später dynamisiert er es mit Free-Jazz-Eruptionen, Reißschwenks und blitzartigen Zufahrten. Das Siebziger-Setting fungiert als Style-Mittel und Humorverstärker: Mit Pornobrillen, Discojacken und Schnurrbärten stirbt es sich gleich viel alberner. Die Figuren? Stereotypen mit lustigen Frisuren und coolen Sprüchen. Fad wird einem nicht, an originellen Wendungen mangelt es nicht. Doch den zynischen Biss seiner Prä-Tarantino-Vorbilder, der bösen UK-Komödien von Alexander Mackendrick („Ladykillers“), erreicht der Film nie. Am Ende hat er einfach kein Gewicht – und man sehnt sich nach einem kleinen, feinen Duell im Morgengrauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2017)

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