„Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“: Michael Moore geht es um Unterhaltung

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Die Argumente des US-Polemikers sind leicht zu durchschauen, weil rein emotional: „Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ im Kino.

Es war einmal ein Mann namens Michael Moore. Ein Märchenonkel – doch das war nicht immer so: 1954 wird er in eine US-Arbeiterfamilie geboren. Anfangs will Michael Priester werden, besucht später ein College, das er frühzeitig verlässt. 1986 zieht er nach Kalifornien und arbeitet für die linksliberale Publikation „Mother Jones“. Gegen den Willen des Chefredakteurs plant er eine Geschichte über die Schließung der GM-Werke in seiner Heimatstadt Flint, Michigan: Moore bringt einen der arbeitslosen Fabrikarbeiter aufs Titelblatt – und wird dafür entlassen. Es folgt eine Gerichtsverhandlung. Mit den 58.000 Dollar Entschädigung beginnt er seinen ersten Kinofilm Roger & Me (1989). Und er lebte glücklich bis ans Ende aller Tage.

Mittlerweile ist Moore selbst zur Märchenfigur geworden: ein Übergewichtiger in Jeans, mit Baseballkappe über dem bebrillten Gesicht, der die systematisch gepflanzten Lügen der US-Machthaber mit proletarischer Geistes- und Körperhaltung aufdeckt. Als Advokat des stimmlosen und entrechteten Durchschnittsmenschen zieht er auch in seiner jüngsten Produktion Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte durch die verwundete Nation: Moore versucht anlässlich der Wirtschaftskrise, die Perversion des kapitalistischen Systems aufzuzeigen.

Auch Roosevelt warnte vor Kapitalismus

Er eröffnet den Reigen mit einer Familie, die sich vor den Exekutivbeamten daheim verschanzt hat: Das Haus soll in den Besitz der kreditgebenden Bank übergehen. Später hält Moore seine Kamera auf das tränenüberströmte Gesicht einer Witwe: Die Bank hat sich selbst als Begünstigte in die Lebensversicherung ihres an Krebs verstorbenen Ehemanns aufnehmen lassen. „Es tut mir so leid“, tröstet sie der Filmemacher und malt dann in einer Montagesequenz die Schuldigen auf die Leinwand. Ronald Reagans Neoliberalismus und dessen Fortführung unter Bush sind die Zielscheiben des wütenden Mannes. Moore zitiert dabei Archivdokumente wie eine im Nachhinein betrachtet unheimliche, weil prophetische Rede von Franklin D. Roosevelt, der vor den katastrophalen Auswirkungen eines zügellos gierigen Kapitalismus warnt.

Das Problem von Kapitalismus ist das aller Filme von Moore: Seine Argumentationslinie ist rein emotional, „Fakten“ können innerhalb von Sekunden widerlegt werden. In einer der absurdesten Sequenzen des Films holt er sich geistlichen Beistand. „Vater, ist Kapitalismus eine Sünde?“, fragt er den Priester. Und der antwortet: „Ja!“ Hallelujah!Kapitalismus ist – um in der Diktion des Regisseurs zu bleiben – eine tragische Liebesgeschichte mit hoffnungsvollem Ende. Moores Film ist eine Fiktion, errichtet aus realen Bausteinen, die als Dokumentation vermarktet wird. Es geht dem Polemiker nicht darum, dem einschüchternden Konstrukt Kapitalismus auf den Grund zu gehen. Es geht ihm auch nicht darum, spannende, weil unorthodoxe Querbezüge herzustellen. Es geht ihm um Unterhaltung.

Das Erschütternde an seiner Karriere ist, dass ihm so viele Glauben schenken. Insofern ist dieser Held der einfachen Leute (wie Moore es formuliert) ein Symptom seiner Zeit. Pseudowissen ist schnell zubereitet und leicht verdaulich. Auch Kapitalismus serviert einen vorgefertigten Zugang zur Welt: Das Publikum findet seine Feindbilder bestätigt, es wird emotional aufgewiegelt und zufrieden aus dem Saal entlassen. Und dann? Moore schlägt vor, dass sich die Arbeiter aller Klassen vereinigen und wirft die Phantasmagorie der sozialistisch organisierten USA auf die Leinwand. Er ist schon auf der Suche nach neuen Stoffen für seine Märchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2009)

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