„Du neben mir“: Erste Küsse im keimfreien Käfig

Immer zuhause: Maddy (Amandla Stenberg, re.) wird von ihrer Mutter (Anika Noni Rose) umsorgt.
Immer zuhause: Maddy (Amandla Stenberg, re.) wird von ihrer Mutter (Anika Noni Rose) umsorgt. (c) Warner Bros.
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In „Du neben mir“ darf ein Mädchen wegen seiner Krankheit nicht mit der Außenwelt in Kontakt kommen. Dann verliebt es sich. Ein rührender, aber allzu steriler Jugendfilm.

Maddy studiert Architektur. Im Online-Kurs. Immer, wenn sie ein Modell ihrer Entwürfe fertig gestellt hat, setzt sie eine kleine weiße Plastikfigur hinein: einen Astronauten. Mit ihm kann sie sich identifizieren, sagt sie: „I feel like an astronaut stranded in space.“

Genauso wie ein Astronaut auf Weltraummission verbringt sie ihre Zeit in einer geschützten Kapsel inmitten einer für sie feindlichen Umgebung. Jeder Kontakt mit der Außenwelt könnte sie töten. Ein seltener Immundefekt zwingt sie, ihr Leben innerhalb der Wände einer modernen Villa in Los Angeles zu verbringen. Wer das Haus betritt, muss erst durch eine gläserne Schleuse. Die Luft im Haus wird gefiltert, was immer Maddy in die Hände bekommt, muss vorher desinfiziert werden. Soziale Kontakte gibt es für sie fast nur im Internet. Bis an ihrem 18. Geburtstag ein neuer Nachbar im Haus gegenüber einzieht.

An der Helikopter-Mutter vorbei

2015 erschien der Roman „Everything, Everything“ von Nicola Yoon. Er erzählt von der Liebesgeschichte, die sich zwischen dem Nachbarsbuben Olly und der Prinzessin im keimfreien Käfig entspinnt: von verstohlenen Blicken durchs Fenster, sehnsüchtigen SMS, ersten verbotenen Küssen. Von einer Mutter, die mit ihrem Fürsorge- und Kontrollzwang alle „helicopter moms“ in den Schatten stellt – und vom Freiheitsgefühl, das Maddy durchdringt, als sie sich widersetzt, erstmals eigene Entscheidungen trifft und ihre ersten Schritte in die Außenwelt macht.

Die weitgehend unbekannte kanadische Regisseurin Stella Meghie hat den Stoff nun verfilmt. Das Ergebnis reiht sich in eine lange Liste von jugendlichen Krankheitsdramen: „Du neben mir“ ist ähnlich rührselig wie „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, leider nicht so lässig und pathosbefreit wie „Me and Earl and the Dying Girl“. Dafür ist die Inszenierung durchaus verspielt und gibt Maddys Lebenswelt wieder: Um deren Vorstellungskraft zu verdeutlichen, versetzt die Regisseurin die Verliebten bei SMS-Unterhaltungen in Maddys Architekturmodelle. Da reden sie miteinander im Diner oder der Bibliothek, wirken dank Tiefenschärfe-Effekten wie Miniaturen im Puppenhaus – nur das ständige Handy-Fiepen erinnert, dass das Gespräch eigentlich schriftlich stattfindet. Eine animierte Zeichnung erklärt, warum Maddys Lymphozyten nicht tun, was sie sollten. Und bei ihren ersten Schritten in Freiheit ist die Kamera so wackelig wie Maddys Knie.

Als Person wird sie trotzdem nicht fassbar: Allzu sehr konzentriert sich der Film auf die oberflächliche Schilderung ihres Lebens im sterilen Hochglanz-Heim, ohne konkret zu werden. Als Sinnbild für das jugendliche Gefühl, gefangen zu sein im eigenen Zuhause, funktioniert das ja – aber die Charakterzeichnung leidet: Maddy, sympathisch gespielt von Amandla Stenberg (bekannt als Rue in „Die Tribute von Panem“), ist nicht mehr als ein krankes, eingeschlossenes Mädchen. Auch Olly (Nick Robinson) definiert sich nur dadurch, dass er in Maddy verliebt ist. Ist das alles?

Dafür wird recht authentisch gezeigt, wie die beiden einander näher kommen: Das ist gerade so peinlich, wie Begegnungen unter verknallten Teenagern eben sind. Und, immerhin: Die vielen rührenden Momente des Film entstehen nie aus einem Ausschlachten des Krankheitsleids, sondern aus der emotionalen Kraft jugendlicher Liebe und Emanzipation. Als glaubwürdiges, psychologisch durchdachtes Drama taugt „Du neben mir“ nicht. Aber als süße Romanze. Den meisten Teenagern wird das wohl reichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2017)

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