Kino: „Mit siebzehn“: Was sich begehrt, bekämpft sich

Die Faust als Schutz vor dem Gefühl: Kacey Mottet Klein als in einen Mitschüler verliebter Teenager.
Die Faust als Schutz vor dem Gefühl: Kacey Mottet Klein als in einen Mitschüler verliebter Teenager.(c) Filmladen
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Der französische Altmeister André Téchiné hat einen physisch brodelnden neuen Film gemacht. Er erzählt vom gewaltsamen Aufeinandertreffen zweier Burschen, die nicht wahrhaben wollen, dass sie voneinander angezogen werden.

Die Jugend und ihre Probleme repräsentieren häufig größere gesellschaftliche Konflikte im Kino des André Téchiné. In seinem „Mit Siebzehn“ fokussiert er sich auf die beiden 17-jährigen Schulkameraden Damien (Kacey Mottet Klein) und Tom (Corentin Fila). Es ist der beste Film des 74-Jährigen seit langem, weil die allegorische, gesellschaftskritische Komponente, selbst wenn sie etwas bemüht in den Film gesetzt wird, letztlich hinter der schieren Präsenz jugendlicher Körper und Begierden zurückfällt.

Sofort werden beide Teenager als Außenseiter etabliert. Damien, der zusammen mit seiner Mutter lebt, einer Ärztin, die auf die Rückkehr ihres Mannes aus dem Krieg wartet, trägt einen auffälligen Ohrring, bewegt sich geduckt und blüht vor allem auf, als er ein Gedicht von Rimbaud vortragen darf. Tom dagegen ist ein in sich gekehrtes Energiebündel, das mit niemandem etwas zu tun haben will. Er ist schwarz, Adoptivkind einer Bauernfamilie und fühlt sich überall fehl am Platz. Selten hat man das pubertäre Unwohlsein samt überschüssiger Energie so deutlich gespürt wie in diesem Film. Wie oft bei Téchiné baut sich der Film dramaturgisch durch entgegengesetzt gerichtete Kräfte auf. Allerdings ist die scheinbare Opposition hier eigentlich eine Zuwendung.

Ein Gefühl für das Heranwachsen

Der Filmemacher inszeniert letztlich einen beständigen Tanz zwischen Anziehung und Ablehnung, der in der Gewalt von Zärtlichkeit erzählt. Die beiden Jungs sehen einander voller Begehren an, um sich im nächsten Moment weh zu tun. Sie schlagen sich, mobben sich, wenden sich immer wieder von der offensichtlichen gegenseitigen Zuneigung ab. In diesen wellenartigen Bewegungen, die viel mit der Zusammenarbeit am Drehbuch von Téchiné mit Céline Sciamma („Girlhood“) und ihrem Gefühl für das Heranwachsen zu tun hat, taucht der Film äußerst glaubhaft in die Erfahrungswelten seiner Figuren ein. Die Gewalt zwischen ihnen können sie letztlich leichter akzeptieren als ihre Liebe.

Dabei gelingt es dem Film, das physische Brodeln nah an den Seelenzuständen der Figuren spürbar zu machen. Vor allem ein Faustkampf zwischen den beiden auf einer Wiese vor Bergpanorama und begleitet von Donnern hat es in sich. Man spürt, dass der Film von Dingen erzählen will, die schwer kontrollierbar sind und die zugleich über die Körper der Protagonisten hinausgehen. Schließlich geht es auch um Verdrängungsmechanismen der Bourgeoisie – man verachtet zum Beispiel an anderen Menschen das Fremde, das man im eigenen Körper spürt. Es ist erstaunlich, wie simpel und effektiv Téchiné diese Gedanken in den kaum zur Ruhe kommenden Beinen, Augen und Armen von Tom und Damien zum Ausdruck bringt.

Das formal Unsaubere wirkt aufgesetzt

Doch leider besteht „Mit Siebzehn“ aus mehr als nur Körpern: Die französische Regielegende Maurice Pialat hat zur Verwunderung vieler seiner Bewunderer immer wieder davon gesprochen, dass sein elliptischer Stil mangelhaft wäre und er gerne viel nahtlosere Filme machen würde. Er würde seine Arbeit als unsauber empfinden. Téchiné ist mit Sicherheit ein Nachfolger Pialats, wenn es um diese scheinbar formlose Direktheit im französischen Kino geht. Doch bei ihm wirken Übergänge bisweilen tatsächlich undurchdacht und schlampig. Oftmals verlässt er sich auf den Effekt eines Szenenwechsels, ohne dass dieser erzählerisch oder formal sinnvoll wäre. Dieses Holpern kann sehr wohlwollend als formale Entsprechung zum Inhalt des Films deuten, letztlich aber auch einfach als störend empfinden. Die Unsauberkeit des Films wirkt aufgesetzt.

Ähnliches lässt sich über die Geschichte rund um Damiens Vater sagen. Den Soldaten ereilt ein tragisches Schicksal und man wird das Gefühl nicht los, dass Téchiné hier zu einem etwas plumpen Statement über Kriege im Allgemeinen ausholt. Es ist gut, dass die weiter pulsierenden Körper der Jugendlichen ihn nicht lassen. Aufgrund dieser Schwächen ist Téchinés bester Film seit langem aber noch lange kein großer Film.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2017)

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