Kein Chanson für Isabelle Huppert

Sie ertränkt ihr Herz im Alkohol – bis sie sich in einen jungen Boxer verliebt: Isabelle Huppert als ehemaliger Chansonstar, der seine Vergangenheit verdrängt.
Sie ertränkt ihr Herz im Alkohol – bis sie sich in einen jungen Boxer verliebt: Isabelle Huppert als ehemaliger Chansonstar, der seine Vergangenheit verdrängt.(c) Fabrizio Maltese / Thimfilm
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Als miserable Sängerin erweist sich die große französische Schauspielerin in ein "Ein Chanson für dich": Und dennoch adelt sie diese reichlich märchenhafte Romanze.

Wie viele berühmte französische Schauspielstars sind nicht von der Leinwand auf die Chansonbühne – oder zwischen beiden hin und her - gewandert, von Yves Montand und Jeanne Moreau bis zu Charlotte Gainsbourg, Vanessa Paradis oder Isabelle Adjani. Mit dem Film „Ein Chanson für dich“ ist nun klar: An Isabelle Huppert ist zweifellos keine gute Chansonsängerin verloren gegangen. Das einzige Publikum, das die sonst so wirkungsmächtige Schauspielerin hier mit kuriosen Holzpuppengesten und dünner Stimme berückt, ist jenes im Film selbst.

Und doch: Überall, wo Isabelle Huppert nicht singt, adelt sie diesen Film, dessen märchenhaftes Drehbuch sie zugleich mit ihren musikalischen Auftritten bis zur Kuriosität unglaubwürdig macht. Nicht nur, weil, wie es oft heißt, aus jedem Film, in dem sie spielt, ein „Huppert-Film“ wird. „Ein Chanson für dich“, im Original „Souvenir“, ist auch deswegen eine interessante Erfahrung, weil hier die Stärken wie die Schwächen dieser großen Schauspielerin so sichtbar werden.

Im Mittelpunkt steht die Entwicklungsgeschichte einer zarten, rettenden Liebe – jener zwischen Liliane, einer gealterten Ex-Chansonsängerin, und dem jungen Boxer Jean (Kévin Azaïs). Liliane beginnt als desillusionierte Frau. Ihre Vergangenheit als gefeierte, dann aus Liebeskummer abgestürzte Chansonnière Laura verbirgt sie vor jedermann. Der Zuschauer lernt sie in der anonymen Schutzkleidung einer Pastetenfabriks-angestellten kennen und abends dann mit Whiskeyglas vor dem Fernseher, wo sie ihr Herz in Alkohol ertränkt.

In Lilianes zukunftsleeren Minen, in ihren sich jäh am neuen Mitarbeiter Jean festklammernden Blicken, in ihrem Schwanken zwischen Stolz, Angst und dem Wunsch, sich zu öffnen – in alledem ist Isabelle Huppert ganz die große Schauspielerin, wie man sie kennt. Sie kann sogar überraschend zärtlich wirken. Aber auch ihr starker Schauspielpartner Kevin Azaïs trägt sehr dazu bei, dass der Film in vielen Passagen über das rosarote Romanzen-Genre hinauswächst.

Herz aus Zucker, Arme aus Beton

Aber was hat sie dabei geritten, eine Chansonsängerin zu spielen, die im Wettbewerb um den französischen Euro-Song-Contest-Beitrag ihr Publikum bestricken soll – mit einem lachhaften Schlager, in dem sie ihre eigene Liebe zum jungen Jean besingt, mit Refrainworten wie: „joli garçon, bras de beton, cœur de bonbon“ – „hübscher Junge, Betonarme, Zuckerlherz“? Hier hat nichts von jener Rätselhaftigkeit Platz, die nach über 45 Jahren Filmkarriere immer noch fasziniert. Stets war es ihr kalkuliert unterkühltes Spiel, das die Aufmerksamkeit magnetisch anzog, gerade mit Distanz erzeugt diese Darstellerin Präsenz.

Man kann diese Kunst in anderen neuen Filmen bewundern; denn mit gleich mehreren Rollen ist Huppert seit vergangenem Jahr in der europäischen Filmszene so präsent wie zu den Hochzeiten ihrer Karriere. Etwa in Michael Hanekes „Happy End“ und Paul Verhoevens vielfach ausgezeichnetem „Elle“, in dem sie ein abgründiges und mysteriöses Spiel mit ihrem Vergewaltiger spielt.

Gemeinsam ist den Filmen „Elle“ und „Ein Chanson für dich“, dass die Schauspielerin trotz ihrer 64 Jahren erneut in Rollen mit erotischer Ausstrahlung schlüpft. Gratwanderungen bereits – aber bewundernswert, dass sie überhaupt möglich sind. Schön auch, dass immer mehr Filme nicht 60-jährige Schauspieler und 25-jährige Schauspielerinnen zu Liebespaaren zusammenspannen, sondern 25-jährige Schauspieler mit 60-jährigen Schauspielerinnen. In diesem Fall freilich hat die schmeichelhafte Rolle der Jungmänner- und Publikumsverführerin die große Isabelle Huppert vielleicht doch zu sehr verlockt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2017)

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