Elegischer Untergang der DDR

Großes Buffet für Bruno Ganz als Wilhelm Powileit (mi.), daneben Hildegard Schmahl als seine Frau.
Großes Buffet für Bruno Ganz als Wilhelm Powileit (mi.), daneben Hildegard Schmahl als seine Frau. (c) Hannes Hubach
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Matti Geschonneck hat Eugen Ruges Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ raffiniert und ruhig verfilmt. Im Mittelpunkt steht bei ihm ein stalinistischer Patriarch.

22Jahre nach dem Untergang der Deutschen Demokratischen Republik, deren kommunistisches Regime 1989 wie in den meisten Ländern Osteuropas in sich zusammenfiel, hat Eugen Ruge einen komplexen Wende-Roman veröffentlicht, der zum Bestseller wurde. Anhand einer Familiengeschichte von vier Generationen, die stark autobiografisch wirkt, wurden Lebenslügen und Tragödien des 20. Jahrhunderts einfühlsam, doch unsentimental illustriert. Der Ostberliner Regisseur Matti Geschonneck hat aus Schlüsselszenen von „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ (das Drehbuch verfasste Wolfgang Kohlhaase) einen stillen, beeindruckenden Kinofilm gemacht.

Das Geschehen wird auf den 1. Oktober 1989 konzentriert – wenige Wochen vor dem Fall der Berliner Mauer, ein Jahr vor der Wiedervereinigung mit der BRD. Parteifunktionär Wilhelm Powileit (Bruno Ganz) begeht seinen 90. Geburtstag. Seit der Zwischenkriegszeit waren er und seine aus dem Westen stammende Frau Charlotte (Hildegard Schmahl) Kommunisten, dann Exilanten in Mexiko, ehe sie spät in den Osten gingen. Die Nomenklatura feiert ihn mit hölzernen Reden. In seiner abgewohnten Villa (einst gehörte sie Nazis) gibt es ein großes Buffet.

Villen und Wohnungen im Verfall

Dieses alte Haus, die schäbigen Wohnungen von Sohn und Enkel, symbolisieren Verfall. Die Großeltern wissen noch nicht, dass sich ihr Enkel, der sonst immer den großen Buffettisch aufbaute, in den Westen abgesetzt hat, zum „Klassenfeind“ also. Er hat die Falschheit des Systems nicht mehr ertragen. Im Roman ist dieser Sascha Umnitzer eine wichtige Reflexionsfigur, hier aber nur eine Randerscheinung. Wie soll man diese „Schande“ dem stalinistischen Opa und der vom Ehemann und der Partei längst frustrierten Oma schonend beibringen? Als Mittler dienen der Sohn Kurt Umnitzer und seine russische Frau Irina: Sylvester Groth und Evgenia Dodina verbreiten aufs Beste müde Endzeitstimmung, sie wissen längst, dass die DDR verloren ist. Kurt flüchtet melancholisch in die Stille, Irina manisch depressiv in den Alkohol. Nach und nach wird die Familientragödie offenbar. Umnitzer hat seine Frau in der Sowjetunion kennengelernt. Er und sein Bruder, aus Deutschland dorthin geflüchtet, wurden 1941 verhaftet, in ein Arbeitslager gesteckt. Der Bruder stirbt. Verlorene Illusionen. Russland in Zeiten des abnehmenden Lichts wird nur als Rahmen gezeigt, im Herbst, der Kälte ankündigt, untermalt mit melancholischen Gesängen. Am Ende trifft man sich auf einem Friedhof.

Der Patriarch hat den Zusammenbruch längst geahnt, Ganz spielt diesen enttäuschten Kämpfer mit Verve, Schmahl ist perfekt in ihrer Frustration, man traut ihr einen Giftmord zu. Sie meint, sie seien zu kurz gekommen, seien eben im falschen Exil gewesen. Tatsächlich wurden die beiden nach der Rückkehr aus Mexiko in der SED nur zweite Garnitur. Nur die zweite Reihe kommt auch zur Gratulation, als Powileit der Goldene Stern der Völkerfreundschaft verliehen wird. „Bringt das Gemüse auf den Friedhof!“, befiehlt er Gästen, die ihm Blumen offerieren.

„Seid bereit!“, befiehlt der Funktionär

Nur einmal blüht er auf, als Mädchen aufmarschieren. „Seid bereit!“, sagt er, sie erwidern stramm den Gruß. Doch die DDR ist nicht mehr „wachsam“, wie Powileit weiß: Wer hätte auch gedacht, dass die „Konterrevolution“ aus der UdSSR kommen werde, sagt er. Verächtlich spuckt er das „Tschow“ aus, mit dem er KPdSU-Reformer Gorbatschow meint. Dann ist er tatsächlich da, der Zusammenbruch im Kleinen. Der Urenkel möchte sich das letzte Würstchen vom Buffet holen. Er klettert rauf, auf den Tisch, den der Uropa provisorisch aufgebaut hat. Krachend bricht das Ding zusammen, nachdem zuvor so viel in der Familie zerbrochen war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2017)

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