Kino: Der introvertierte Modevisionär

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„Dries“, eine Dokumentation über den belgischen Designer Dries Van Noten, ist eine beeindruckende Meditation über Schönheit und Obsession.

Eigentlich ist er ein Opfer seines Schönheitssinns. Sein Kopf hört niemals auf zu arbeiten. Selbst wenn er in seinem großzügigen Garten Blumen oder Gemüse schneidet, geht es permanent um ästhetische Entscheidungen. „Dries Van Noten ist ein Schatz. Er ist einer jener, die eine selbstzerstörerische Modeindustrie am Leben erhalten“, sagt die 95-jährige Mode-Ikone Iris Apfel gegen Ende der dezenten, fast zu braven Dokumentation über einen der größten Modeschöpfer aller Zeiten. Eine gefühlte Ewigkeit ist er schon im Hamsterrad einer Branche, die unerbittlich nach neuen, möglichst überraschenden Kollektionen giert. „Es ist halt eine Sucht“, sagt Van Noten, „man bleibt dabei, weil man immer wieder Momente voller Schönheit und Gefühl schaffen kann.“

Der deutsche Regisseur Reiner Holzemer, der beachtliche Dokumentarfilme über Fotografen von Juergen Teller bis Anton Corbijn gestaltet hat, schafft mit „Dries“ ein sehr stilles, aber umso eindringlicheres Porträt des introvertierten Van Noten. Daran nicht unwesentlich beteiligt ist der Radiohead-Bassist Colin Greenwood, der dafür kongeniale Musik komponiert hat. Bereits zu Beginn – Models schreiten auf dem Laufsteg über eine artifizielle Wiese mit moosigen Hügeln – versetzt Greenwood den Betrachter mit seinen minimalistischen Pianofiguren in die richtige Stimmung, um die folgenden 90 Minuten ideal aufnehmen zu können. Es passiert ja nicht rasend viel. Also gilt es, auf Details zu achten. Auf Seitenblicke, auf unscheinbare Momente, aus denen Wesentliches erwächst.

Diese Haltung kommt dem Wesen Van Notens durchaus nahe. Mit eigenen Kollektionen begonnen hat der in eine Schneiderfamilie hineingeborene Belgier 1986, als Teil der legendären The Antwerp Six, jungen Designern, die Belgien auf die Landkarte der Modewelt bringen wollten. Dies gelang eindrucksvoll. Heuer im März hat Dries Van Noten seine 100. Kollektion vorgestellt.

Ein Philosoph der Kontraste

Von den großen Designern orientiert er sich am stärksten am Handwerk: Vier, fünf Monate dauerte es allein, bis er seine aktuellen Stoffe kreiert hat. Die Weise, wie er all diese disparaten Muster, Farben und Silhouetten miteinander kombiniert, hat eine Magie, die sich auch der Film schwertut zu erklären: „Magie ist keine Formel“, sagt Van Noten einmal. „Magie ist wahrscheinlich, wenn die Leute spüren, dass die Entwürfe von Herzen kommen und in der Realität verankert sind.“

Am Ende jedes kreativen Kampfs sind seine geliebten Kontraste auf wunderlichste Weise ausbalanciert. „Mode muss die Kontraste des wahren Lebens widerspiegeln“, sagt er. Auch Zufälle lässt er großmütig gewähren. Hinter ihm steht selbstverständlich ein Kreativteam. Van Noten sieht sich aber nicht als dessen Direktor: „Ich gebe nicht alles vor. Die Stoffe wähle ich aus und die generelle Linie bestimme ich. Aber insgesamt ist es eine Art Gemeinschaftsarbeit.“

Holzemer begleitet Van Noten in sein schmuckes Heim, in Ateliers und Produktionsstätten in Indien und Italien. Faszinierend, wie dort jene austernförmigen Ornamente aus Stabperlen und Pailletten entstehen, die später für Staunen in Paris und London sorgen. Van Notens visionäre Kraft überwindet Kontinente, Jahrhunderte und soziale Konventionen. Seine Art, Mode zu träumen, macht seine Kunden auf klandestine Art wieder selbst zu Kindern. Nur sein vereinsamter, immer wieder melancholisch durchs Bild gehender Airedale Terrier irritiert zuweilen. Harry heißt er, falls Sie ihm begegnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2017)

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