Aussteiger will aussteigen: Film ohne Landung

Man sieht ihm an, dass er könnte, wenn er wollte: Michael Fassbender als innerlich zerrissener Sohn des jovial-gebieterischen Patriarchen (links: Brendan Gleeson).
Man sieht ihm an, dass er könnte, wenn er wollte: Michael Fassbender als innerlich zerrissener Sohn des jovial-gebieterischen Patriarchen (links: Brendan Gleeson).(c) Filmladen
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Zwischen Sozialdrama und Gangsterfilm: "Das Gesetz der Familie" erzählt von einem räuberischen Clan. Brendan Gleeson gibt den bildungsfeindlichen Patriarchen, Michael Fassbender dessen Sohn auf der Suche nach Normalität.

Wenn es im Kino um Aussteigerdasein geht, schwankt die Stimmung meist zwischen Romantik und Ernüchterung. Der Tanz auf dem Gesellschaftsrand beflügelt – doch letztlich scheint der Absturz unvermeidlich. Ein jüngeres Beispiel wäre der Film „Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück“ (2016), in dem ein Selbstversorger und Waldbewohner seine Familie zur radikalen Autonomie erziehen will. Der Ruf der Freiheit klingt verlockend, doch er führt in die totale Isolation. Als Lösung bleibt nur die Bereitschaft zum Kompromiss. Die Moral vieler Geschichten dieser Art läuft auf einen Ausgleich hinaus, auf eine Balance zwischen Verweigerung und Angepasstheit.

Auch Adam Smiths Langfilmdebüt „Das Gesetz der Familie“ (Originaltitel: „Tresspass against Us“) trippelt auf dem schmalen Grat zwischen Gegenkultur und Kultur, neigt sich einmal in die eine, einmal in die andere Richtung, legt sich aber nie fest. Bezeichnenderweise endet der Film mitten im Fall. Die Landung würde ihn zur Entscheidung zwingen.

Die Polizei hat nichts in der Hand

Smith, bislang als Fernseh- undMusikvideoregisseur bekannt, kreuzt in seinem Erstling zwei bewährte Traditionslinien des britischen Kinos: das bodenständige Sozialdrama und den proletarischen Gangsterfilm. Im Mittelpunkt steht der Cutler-Clan: eine irische Sippe, die unter der Ägide ihres jovial-gebieterischen Patriarchen Colby (toll: Brendan Gleeson) Recht und Ordnung den Rücken gekehrt hat. Schon seit drei Generationen lebt sie in einer abgewrackten Wohnwagenburg an der Peripherie eines englischen Nobelbezirks. Ihren Unterhalt verdienen sich die Vagabunden mit nächtlichen Raubzügen. Die Polizei hat sie im Visier, aber nichts in der Hand.

Der Film zeichnet ein ungeschöntes Bild dieser asozialen Gemeinschaft, ohne ihren Lebenswandel wirklich zu verurteilen. Auf eine kaputte Weise funktioniert ihre Welt, hat auch Platz für Lagerfeuergeschichten und Vergnügungsfahrten. Der bewusste Kontrast zu einer sadistischen Exekutive und dem Klassenhass, den sie verkörpert, legitimiert die Taten der Cutlers zwar nicht, verleiht ihnen aber den Anschein ausgleichender Gerechtigkeit. Chad, Colbys ältester Sohn (Michael Fassbender) will dennoch raus – zumindest ein Stück weit. Nach außen hin lässt er sich nichts anmerken, aber er spürt, dass seine beiden Kinder in dieser Müllhaldenutopie unnötigen Gefahren ausgesetzt sind. Also schickt er sie zur Schule und plant insgeheim den Umzug in die Vorstadt.

Doch sein Vater hält nichts von dieser Idee. Seit jeher kultiviert er die Ignoranz seiner Schäfchen, um sie in seinem Bann zu halten, verteufelt Bildung als Irrweg: Evolution ist eine Lüge, die Erde ist flach, Gott ist groß. Um Chad an sich zu binden, greift er zu drastischen Maßnahmen.

Eigentümliche Melancholie

Die britische Kritik ließ kein gutes Haar an „Das Gesetz der Familie“: Der Plot sei zu diffus, für einen Gangsterfilm fehle es ihm an Spannung. Tatsächlich gehören die Action- und Thriller-Elemente des Films nicht zu seinen Stärken; selbst die Autoverfolgungsjagden setzen Atmosphäre vor Adrenalin. Doch wenn man die Genre-Zange weglegt und sich an der Seite der Figuren treiben lässt, erkennt man den Reiz von Smiths Werk gerade in seiner Ablehnung klassischer Handlungsstrukturen und Charakterentwicklungsmuster. Andere Filmemacher hätten eine konventionelle Emanzipationsstory aus dem Stoff gewunden, über die Befreiung aus den Klauen falscher Außenseiter und die Rückkehr in den Schoß der Normalität. Dieser Verlauf bahnt sich auch hier an, wird aber nicht eingelöst. Die Gesellschaft will Chad gar nicht wiederhaben, weil er schon zu vielen Menschen auf die Zehen getreten ist; aus ebendiesem Dilemma zieht „Das Gesetz der Familie“ seine eigentümliche Melancholie.

Weiters warf man Smith vor, Fassbender sei fehlbesetzt: „Zu schön“ sei er für diese Type, zu souverän in seiner Ausstrahlung für die Darstellung eines innerlich Zerrissenen. Aber genau diese Diskrepanz macht Chad interessant: Man sieht ihm an, dass er könnte, wenn er wollte. Nur er selbst begreift das nicht, weil ihn sein Vater stets kleingemacht hat, ihn per Analphabetismus der Umwelt entfremdet und mit obskurantistischen Predigten abgestumpft hat. Er passt tatsächlich nicht in seine Rolle. Und zu einem Film über das Wechselspiel zwischen Unangepasstheit und Anpassung passt das eigentlich ganz gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2017)

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