Berlinale-Gewinner: Papst und Polizeigewalt

Tropa de Elite von Jose Padilha
Tropa de Elite von Jose Padilha(c) senator
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José Padilha hat einen Genrefilm gedreht, einen harten Polizeithriller. Einen, der die Grundregeln des Genres befolgt: "Tropa de elite" - ein pulsierender, politischer Thriller.

Das politische Kino steckt schon seit Längerem in der Bredouille: Es hängt in einer diskursintensiven Grauzone fest und muss vorgeben, für alles Verständnis und sowieso alles verstanden zu haben. Ideologien erodieren, und so argumentieren dann talentierte Stilisten wie Alejandro González Iñárritu in Babel unter der Schirmherrschaft von großen US-Studios durch, was der arabische Terrorist mit dem amerikanischen Touristen, mit dem japanischen Waffenhändler gemeinsam hat. Der Filmzirkus aus Produzenten, Verleihern und Kritikern hat sich schon so an diese kraftlose Suppe gewöhnt, dass er sie immer wieder brav auslöffelt und ihr Auszeichnungen umhängt: Schert einer aus dieser Konsensgemeinschaft aus, wird er gnadenlos von der Bühne gepfiffen.

So geschah es dem brasilianischen Regisseur José Padilha – auch er ein talentierter Stilist –, als er für sein freches Spielfilmdebüt Tropa de Elite (frei übersetzt: Die Eliteeinheit) bei der Berlinale 2008 geehrt wurde: „Ein Reaktionärer“ bekommt den Hauptpreis des Festivals! Und woher kam die ganze Aufregung? Ganz einfach: Padilha hat einen Genrefilm gedreht, einen harten Polizeithriller. Einen, der die Grundregeln des Genres befolgt: Der stiernackige Kapitän Nascimento (Wagner Moura) will die Eliteeinheit verlassen, muss seine Männer aber noch durch einen letzten Einsatz dirigieren.

In den ersten Oktobertagen des Jahres 1997 (der Film basiert auf einem Tatsachenbuch, verfasst von zwei Polizisten und einem Soziologen!) besucht Papst Johannes PaulII. die brasilianische Metropole Rio de Janeiro. Um den Heiligen Vater zu schützen, soll die Tropa de Elite die Favelas ruhigstellen. Die staubigen Gassen zwischen den ärmlichen Hütten werden von schwer bewaffneten Gangs kontrolliert, die von der Bevölkerung Schutzgeld erpressen und Drogen verkaufen.

In gewisser Weise ist Padilhas pulsschlagrhythmisch geschnittener Thriller tatsächlich reaktionär: Er greift zurück auf eine Erzählhaltung, die dem (vorwiegend) amerikanischen Polizeifilm der Siebzigerjahre zu eigen war. Der Cop als moralische Instanz, wie in Don Siegels Klassiker Dirty Harry: als Wiedergänger der eindimensionalen Fünfzigerjahre-Bullen, der aber in den Straßen der (filmischen) Moderne zerrieben wird und schließlich das Gesetz selbst in die Hand nimmt.

Alle taumeln dem Ende entgegen

Es geht dabei dann weniger um die auch in Tropa de Elite verzerrt und vereinfacht dargestellten Kriminellen, sondern um die Uniformierten, deren offizielle und repräsentative Autorität von der Wirklichkeit eins auf die Fresse bekommt. Bei Padilha spitzt sich das moralische Dilemma vor allem dann zu, wenn Nascimento einen Nachfolger für sich selbst sucht: Er, der sich ausklinkt aus dem Höllenkreis und in das sichere Familienleben einbiegt, braucht einen Erben, einen, der wie er selbst seinen Körper und seine Seele zum Abschuss freigibt.

Tropa de Elite gaukelt dem Zuschauer kein Verständnis vor: Hier versteht niemand den anderen, alle taumeln dem Ende entgegen. Wie ein Thriller aus den frühen Siebzigern, also vor der Erfindung des Merchandisingkinos, das jetzt immer noch unaufhaltsam Charityfilme wie Babel oder L.A. Crash produziert, kann Padilhas Film nur hoffnungslos enden: und darin ist diese brasilianische Genreproduktion politischer als das ganze Hollywood-Politkino der letzten zehn Jahre zusammengenommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2009)

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