Wallraff: Ein Borat für Bildungsbürger

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Günter Wallraff hat sich für „Schwarz auf Weiß“ als Farbiger verkleidet. Der umtriebige und durchaus interessante Selbstdarsteller und Journalist, hat sich etwa in die Redaktion der "Bild"-Zeitung eingeschlichen.

Man kann sich nur schwer entscheiden, was schlimmer ist: dass sich ein weißer Mann mit Sprühfarbe und Kraushaarperücke als Farbiger verkleidet oder dass das als reißerisch aufgemachter Investigativreport über die deutsche Befindlichkeit in die Kinos kommt. Günter Wallraff, der umtriebige und durchaus interessante Selbstdarsteller und Journalist, der sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte etwa in die Redaktion der „Bild“-Zeitung eingeschlichen oder zwei Jahre lang als türkischer Gastarbeiter Ali Levent Sinirlioglu gelebt hat, sitzt zu Beginn von Schwarz auf Weiß beim Maskenbildner: schwarze Hände, schwarzes Gesicht, buntes Hemd, ein knallgelbes Plastiksackerl am Arm.

So sieht Kwami Ogonno aus, dessen fiktive Biografie ihn als gebürtigen Somalier ausweist und der im Film als Zerrbild für einen afrikanischen Migranten herhalten muss. Der Plan scheitert – wie der Film – mit seinem hochtrabenden sozialhygienischen Ansinnen schon in den ersten Sekunden, die man in Gesellschaft von Kwami/Günter verbringt, dessen physische Eigenschaften und naiv-ratlose Mimikry eines Deutsch-Afrikaners – inklusive falsch klingendem Dialekt – ihn schnell als verkleideten Narren ausweisen. Insofern ist es auch kein Zufall, dass sich gut 50 Prozent der von einer Knopfloch- und einer Taschenkamera dokumentierten rassistischen Äußerungen in Anwesenheit von Betrunkenen ereignen: Wenn Kwami/Günter etwa nächtens durch Rosenheim streift, zielsicher auf eine Horde alkoholisierter, teilweise glatzköpfiger Jugendlicher zugeht und bei ihnen nachfragt, wieso er nicht in die Diskothek eingelassen wird, einer von ihnen ihm dann entgegenbrüllt: „Afrika den Affen, Europa für Weiße!“, dann mögen sich zarte Seelen erschrecken, alle anderen heben ratlos die Schultern.

Gravierender als Aussagen von Einzelpersonen (Kwami wird von besoffenen Fußballfans beleidigt, seine Familie nicht auf einem deutschen Campingplatz akzeptiert) wären etwaige aufgezeigte Beispiele für institutionalisierten, systematischen Rassismus: Dem bleibt der Film allerdings fern, montiert lieber unzählige Begegnungen mit wandernden Pensionisten, schunkelnden Volksfestbesuchern und Schrebergärtnern aneinander. Der Film erlangt kein argumentatives Gewicht, beweist in keiner Minute irgendetwas, da man sich nur in wenigen Fällen sicher sein kann, ob die potenziellen Rassisten Kwami aufgrund seiner Hautfarbe diskriminieren oder ihn nicht aufgrund seines insgesamt eigentümlichen Aussehens und Verhaltens ausgrenzen (in einer Szene setzt er sich bei einem Provinzkonzert auf die Bierbank und schunkelt allein zum Schlager, weil sich keiner bei ihm einhängen will).

Der Kasperl übernimmt das Ruder

Der Erkenntnisgewinn pendelt sich auf der Nulllinie ein, während das Unterhaltungspotenzial nach oben schnellt: Tatsächlich wirkt Wallraffs Kwami in vielen Momenten wie ein Borat für Bildungsbürger, dessen seriöses Verhalten und ernsthafte Agenda allerdings weit weniger aufdecken und aufklären als die vulgären Eskapaden des Sasha Baron Cohen. So ist Schwarz auf Weiß eine kurzweilige, dumme, anmaßende Fernsehreportage, die man eher in den Mittsiebzigern im Programm eines öffentlich-rechtlichen Kanals vermuten würde als im Jahr 2010 in österreichischen und deutschen Kinosälen. Letztlich ist Wallraffs Faschingstournee eine gelungene Pointe zum Zustand des politischen Kinos in Deutschland: Wenn es keine Filmemacher mit Überzeugungen mehr gibt, dann übernimmt der Kasperl das Ruder.

DER AUFDECKER

Hans-Günter Wallraff, geboren 1942 in Burscheid, prägte eine eigene Form des investigativen Journalismus, für die in Schweden bereits das Wort „wallraffa“ geläufig ist. Er recherchierte u.a. bei der „Bild“-Zeitung („Der Aufmacher“), in deutschen Großbetrieben („Industriereportagen“), als türkischer Gastarbeiter bei diversen Unternehmen („Ganz unten“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2010)

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