Pablo Pineda: "Ich bin nicht krank"

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Der 35-jährige Spanier Pablo Pineda schloss als erster Europäer mit Down-Syndrom ein Studium ab. Im Film "Yo También" erzählt er jetzt sein Leben, um anderen Menschen mit Down-Syndrom Mut zu machen.

Würden Sie selbst sagen, Sie „leiden“ am Down-Syndrom?

Pablo Pineda: Nein. Ich leide nicht daran, ich bin Down-Syndrom.

Aber in der Gesellschaft wird Trisomie 21 immer noch als Krankheit, als Leiden und als Behinderung wahrgenommen. Sehen Sie das anders?

Es ist keine Krankheit! Es ist eine Kondition, ein Zustand. So wie der eine blond ist, habe ich eben das Down-Syndrom. Es ist viel mehr ein Charakteristikum als eine Krankheit. Was ein bisschen Angst macht, ist dieses Wort „Syndrom“. Der Begriff selbst war von Beginn an als Bezeichnung für eine Ansammlung verschiedener Charakteristika gedacht. Es war die Medizin, die damit begonnen hat, den Begriff im Diskurs als Krankheit zu prägen.

Im Film „Yo También“ spielen Sie sich selbst. Einen jungen Mann mit Down-Syndrom, der entgegen allen gesellschaftlichen Vorurteilen Karriere macht. Wie kamen Sie als Lehrer zur Schauspielerei?

Ich habe bei diesem Film nur aus einem Grund mitgemacht: um anderen Menschen mit Down-Syndrom ebenfalls Mut zu machen. Und natürlich, um das Bewusstsein der Gesellschaft für Menschen mit Down-Syndrom zu ändern. Um ihnen eine andere Perspektive auf uns zu eröffnen. Denn es gibt zwar sehr viele medizinische Berichte über Menschen mit dieser Beeinträchtigung, aber auf der affektiven Ebene des Mediums Film gibt es fast nichts dazu.

In Spanien wurden Sonderschulen schon 1986 abgeschafft. Auch Sie haben eine normale Schule besucht. War das rückblickend wichtig, um dorthin zu kommen, wo Sie heute sind?

Ja, ganz bestimmt. Für meine Mutter war immer klar, dass sie mich in eine normale Schule schicken will. Und auch ich bin ein großer Verteidiger der Integration behinderter Kinder in das öffentliche Regelschulsystem. Kein Kind mit Down-Syndrom sollte in eine Sonderschule abgeschoben werden.

In Österreich, wo es immer noch Sonderschulen gibt, werden diese oft mit dem Argument verteidigt, behinderte Kinder wären mit ihren besonderen Bedürfnissen dort besser aufgehoben. Können Sie das nachvollziehen?

Das stimmt einfach nicht. Es ist für Menschen mit Beeinträchtigung nicht besser, in gesonderte Schulen zu gehen. Diese Trennung dient doch allein dazu, diese Institutionen zu rechtfertigen. Den Betroffenen bringt das jedoch gar nichts. Ganz im Gegenteil: Für die Betroffenen ist es besser, wenn sie mit den anderen Leuten zusammen sind. Denn genau durch diesen Kontakt lernen sie. Menschen lernen nicht durch das Alleinsein, wir lernen vor allem durch, von und mit allen anderen. All die Erfahrungen, die ich in meiner Kindheit und Jugend machen durfte, habe ich nur der öffentlichen Schule zu verdanken. Durch das integrative Modell verändert und entwickelt man sich einfach mehr und besser. Es wäre außerdem total langweilig, wenn man den ganzen Tag nur die Gesichter anderer Menschen mit Down-Syndrom sähe. Die Mischung macht es aus. Denn alle, egal, ob mit oder ohne Down-Syndrom, lernen letzten Endes voneinander.

Sie gelten einerseits als Vorbild und Hoffnungsträger für Menschen mit Down-Syndrom. Andererseits wenden Kritiker gern ein, dass Sie falsche Hoffnungen wecken. Weil es verschiedene Abstufungen des Down-Syndroms gäbe und daher nicht jeder Betroffene in der Lage sei, Ihrem Beispiel zu folgen.

Zu sagen, ich hätte weniger Down-Syndrom als andere, ist schlichtweg falsch. Ich habe dasselbe Down-Syndrom wie alle anderen Betroffenen. Aber jede Person ist anders. Nun kommt es darauf an, als was man diese Menschen mit Down-Syndrom betrachtet. Als Kranke oder einfach als Personen. Wenn man sie als Kranke sieht, dann gibt es notgedrungen diese Abstufungen. Das ist die medizinische Sichtweise. Aber wenn man sie als Personen begreift, dann gibt es einfach nur Unterschiede.

Ich will sicher keine falschen Hoffnungen schüren. Meine Botschaft an die Eltern, die Lehrer, die Gesellschaft ist: Hier ist ein Mensch und er kann lernen. Nicht jeder Mensch mit Down-Syndrom kann studieren, aber er kann lernen. Und die jeweilige Grenze in dieser Hinsicht sollte nicht durch die Gesellschaft gesetzt werden, sondern durch die Person selbst. Ich bin dorthin gekommen, wo ich heute bin, weil ich dorthin wollte.

Sie haben einmal gesagt, Sie fühlen sich weder der „normalen“ Gesellschaft noch der Gruppe von Menschen mit Down-Syndrom zugehörig. Warum?

Die Gesellschaft sieht mich nur als jemandem mit Down-Syndrom, darauf werde ich reduziert. Treffe ich wiederum Menschen mit Down-Syndrom, sagen diese sofort, ohne mich überhaupt zu kennen: „Du bist mein Freund.“ Und zwar nur deshalb, weil ich offenkundig Teil von ihnen bin. Ich hingegen sehe gewisse Unterschiede zwischen mir und anderen Menschen mit Down-Syndrom. Daher fühle ich mich nach wie vor weder der einen noch der anderen Seite wirklich zugehörig.

Fühlen Sie sich dadurch allein?

Ein bisschen schon. Aber man muss trotzdem weitermachen.

Pablo Pineda wurde 1975 in Málaga, Spanien, mit der Genmutation Trisomie 21, auch bekannt als Down-Syndrom, geboren. 2004 hat Pineda als erster Europäer mit Down- Syndrom ein Studium abgeschlossen, wurde Lehrer für Sonder- sowie Psychopädagogik. 2009 entstand der Spielfilm „Yo También“ in Anlehnung an Pinedas Lebensgeschichte und mit ihm selbst in der Hauptrolle. Für seine schauspielerische Leistung erhielt der 35-Jährige beim Filmfestival von San Sebastian die „Silberne Muschel“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2010)

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