Sommerkino: Filmemachen als Action-Painting

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Filmemachen ActionPainting(c) Kino unter Sternen
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Sommerkinoschmankerln als Sonntagsempfehlung. Letzter Teil: Oscar-Gewinnerin Kathryn Bigelow macht die besten Männerfilme in Hollywood.

Für ihren Irak-Film The Hurt Locker – Tödliches Kommando hat Kathryn Bigelow endlich die gebührende Anerkennung bekommen: Der Bombenentschärfer-Thriller erhielt heuer den Oscar für den besten Film und Bigelow – als erste Frau – denjenigen für die beste Regie. Es war der (vorläufige) Höhepunkt in einer der ungewöhnlichsten Karrieren der jüngeren Hollywood-Geschichte.

Zwar arbeitet Bigelow in populären Genres, vor allem im Actionfilm, aber die meisten ihrer Werke waren umstritten und zunächst nicht sehr erfolgreich – vielleicht waren sie zu ambitioniert. Ihr Surfer-Krimi Point Break – Gefährliche Brandung (1991) und ihr Millenniums-Thriller Strange Days (1995) wurden erst via Video zu veritablen Kultfilmen. Als sie dann im HistorienrätselThe Weight of Water (2000) eine ganz andere Richtung einschlug, erntete sie Unverständnis. Und ihr unterschätzter U-Boot-Film K-19: The Widowmaker soff 2002 ab: kein guter Zeitpunkt für eine Hymne auf Sowjet-Heldenmut.

So dauerte es sechs Jahre bis zur unabhängigen und relativ preiswerten Produktion The Hurt Locker. Der Irak-Thriller wurde zwar Bigelows größter Erfolg bei der Kritik, aber es gab zunächst ziemliche Probleme: Ein Verriss im einflussreichen Branchenblatt „Variety“ nach der Premiere im Wettbewerb des Filmfestivals Venedig 2008 sorgte dafür, dass in den USA zunächst kein Verleiher den Film kaufte. Weshalb er erst anderthalb Jahre nach seiner Uraufführung den Oscar bekam.


Farbenfreude. Ohnehin ist Bigelows Laufbahn voller unerwarteter Wendungen: So würde man kaum vermuten, dass sie eigentlich von der Malerei und der Konzeptkunst kommt. Ihr Vater leitete eine Farbenfabrik, „was einen ziemlich offensichtlichen Einfluss auf mich ausgeübt haben dürfte“ , wie Bigelow einmal verschmitzt erklärte: „Soweit ich zurückdenken kann, habe ich gezeichnet und gemalt – nicht sehr originell, aber bitte!“ Als Teenager war sie von den Klassikern fasziniert und begann, Details alter Meister wie Raffaels im Großformat abzumalen.

Später beschäftigte sie sich mit Duchamp und seinem Ready-Made-Konzept. Das prägte ihr Verständnis vom Filmemachen: eine Anzahl bereits vorhandener Elemente in einen Kontext stellen und so Assoziationen wecken. 1972 schloss Bigelow ihr Kunststudium in San Francisco ab, ein Whitney-Stipendium brachte sie dann nach New York: Im Umfeld politisierter Performance-Stücke landete sie beim Filmemachen. Für einen Auftritt von Vito Acconci filmte sie Slogans ab, die dann als Endlosschleife projiziert wurden – den Job nahm sie nur an, weil sie „am Rande des finanziellen Ruins“ stand.

1978 folgte ihr erster Kurzfilm: The Set-Up zeigt ihr damaliges Interesse an Sprache und Strukturalismus. Während einander zwei Männer (darunter Gary Busey, der später in Point Break spielte) verprügeln, hört man die Semiotiker Sylvère Lothringer und Marshall Blonsky das Geschehen diskutieren. Bigelows kaum gezeigte erste Fingerübung weist verblüffende Parallelen zum kurzen Frühwerk eines anderen Action-Spezialisten auf: In Violence in the Cinema, Part 1, einem Geniestreich schwarzen Humors und reflexiver Satire, ließ der spätere Mad Max-Regisseur George Miller 1971 einen Professor staubtrocken über Gewalt im Film dozieren – und plötzlich widerfahren ihm all die Torturen, über die er ungerührt langatmig weiterreferiert.


„Fast umgebracht.“ Da Bigelow beim ersten Versuch noch keine Ahnung von filmischer Inszenierung – inklusive des Vortäuschens von Schlägereien – hatte, landeten ihre beiden Darsteller für zwei Wochen im Bett: „Ich hätte sie fast umgebracht.“ Zum Filmstudium an der Columbia University schrieb sie sich dann übrigens ein, um ohne Geld in einen Schneideraum zu kommen.

Schnell berauschte sie sich am Kino in seiner ganzen Vielfalt, sah am Stück Bruce Lee, Orson Welles, Rainer Werner Fassbinder – nach dessen In einem Jahr mit 13 Monden fühlte sie sich, „als wäre ich gestorben und in den Himmel gekommen“. Bigelows erster Langfilm, die mit Monty Montgomery inszenierte Biker-Studie The Loveless (1981), war aber noch „ganz auf Konzeptkunst gepolt“: Die Szenenfolge hing nicht erzählerisch zusammen, sondern rein visuell. Für all ihre Filme entwarf Bigelow erst Storyboards: „Ich muss alles vor mir sehen und schon Szene für Szene im Kopf schneiden.“


Action-Painting. Ihre typische Handschrift etablierte erst der famose Vampir-Western Near Dark (1987): Genre-Revision und außergewöhnliches Gespür für Bilder. Bigelows Action-Vorliebe wurde im Polizistinnen-Noir Blue Steel (1989) weitergetrieben und kam mit Point Break an ihren Höhepunkt. Der Film vom Undercover-Cop (Keanu Reeves) unter Bankräubern aus Surfer-Kreisen ist reinster Ausdruck ihrer Kunst: Action-Painting, buchstäblich.

Die Lust an purer Bewegung übersetzt sich in eine Serie virtuos visualisierter Adrenalinschub-Verfolgungsjagden zu Lande, zu Wasser und in der Luft – bis zum unfassbaren Sprung aus dem Flugzeug ohne Fallschirm. Spürbar ist aber auch Bigelows instinktiver, so faszinierter wie ironischer Umgang mit den Elementen des Männerfilms. Obwohl sie lange schon die besten Actionfilme Hollywoods macht, reagiert die attraktive Regisseurin auf die häufige Frage nach ihrem weiblichen Zugang noch immer verblüfft: Die stelle sich ihr überhaupt nicht – sie mache einfach die Filme, die ihr gefielen.

Eine subversive Freude schimmert jedenfalls immer wieder durch: In Point Break verkleiden sich die Gangster bei den Banküberfällen mit Masken ehemaliger US-Präsidenten. Ihr Anführer (Patrick Swayze) wählt Ronald Reagans Antlitz. Und ermöglicht den unvergesslichen Anblick, wie Reagan mit Feuerzeug einen Flammenwerfer improvisiert und eine Tankstelle abfackelt, bevor er auf der Flucht die Gärten friedliebender Bürger zertrampelt.

Sa, 7. August, 21.30 Uhr, beim „Kino wie noch nie“ am Augartenspitz

1951
In San Carlos nahe San Francisco wird am 27.11. Kathryn (Ann) Bigelow geboren.

1978
Die Kunststudentin dreht ihren 1. Kurzfilm „The Set-Up“.

1987
„Near Dark“, ihr erster kommerzieller Film, erregt Aufsehen.

2010
Für „The Hurt Locker“ erhält Bigelow als erste Frau den Regie-Oscar. Reuters

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2010)

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