Kino: Im mythenumrankten Ypoá-See untergetaucht

Kino mythenumrankten YpoSee untergetaucht
Kino mythenumrankten YpoSee untergetaucht(c) Polyfilm
  • Drucken

"Das Fischkind" von Lucía Puenzo: Visuell berauschend, aber willkürlich in der Dramaturgie.

Fische haben schon im ersten Spielfilm der argentinischen Regisseurin Lucía Puenzo (*1973) eine Rolle gespielt: In „XXY“, das 2008 mit einem Goya (bester ausländischer Film in spanischer Sprache) ausgezeichnet wurde, spiegeln Clownfische, die temporäre Hermaphroditen sind, die Intersexualität der Hauptfigur Alex wider. In „Das Fischkind“, der Adaption ihres eigenen Romans, erweitert Puenzo diese Metapher weiter, wie auch ihr gesamter Film sich vom (sehr interessanten) Konkreten zum (weniger interessanten) Abstrakten bewegt.

Lala (Inés Efron), Tochter reicher Eltern, liebt die aus Paraguay stammende Guayi (Mariela Vitale), die bei der Familie als Haushälterin beschäftigt ist. Benommen schwimmen die Fische durchs Aquarium, symbolisieren die Traurigkeit und seelische Armut im goldenen Käfig. Die Leidenschaft überwiegt schließlich, in der Erzählung wie deren Inszenierung: Der Mord an Lalas Vater lässt das Fischglas zerbrechen, und Puenzo beginnt, die lineare Dramaturgie in eine Traumähnlichkeit zu überführen. Während Guayi in einer Jugendhaftanstalt festgehalten wird, flieht Lala nach Paraguay, in den Heimatort ihrer Freundin, der am Ufer des mythenumrankten Ypoá-Sees liegt: Die Einheimischen erzählen von einem Fischkind, das dann und wann erscheint – ein vermutlich einst menschliches Wesen, das sich voll und ganz dem Unterwasserleben überantwortet hat und mutiert ist.

Der Drang, die Zuschreibungen und metaphorischen wie tatsächlichen Gefängnisse innerhalb der menschlichen Gesellschaft hinter sich zu lassen, leitet Puenzos Werk an. Während ihr „Fischkind“ visuell berauschend und voll ambivalenter poetischer Bilder ist, hält die Dramaturgie die innere Montage, die sich mehr für emotionale Befindlichkeiten denn für konkrete Situationen interessiert, nicht durch und wirkt willkürlich. Ohne inhaltliche Motivation schiebt Puenzo zeitliche und räumliche Ebenen ineinander, was der Geschichte nicht nur ihre Intensität raubt, sondern beim Zuschauer statt eines Befreiungsgefühls Benommenheit und schließlich Desinteresse auslöst.

Naturgewaltige Inés Efron

Als nachhaltige Sensation beweist sich hingegen Hauptdarstellerin Inés Efron, die 2006 in Alexis dos Santos' Indie-Hit „Glue“ ihr Debüt gegeben und sich über ihre Arbeiten mit Puenzo und Lucrecia Martel, einer weiteren außergewöhnlichen argentinischen Regisseurin, zu Recht den Ruf einer naturgewaltigen, unaffektierten Schauspielerin erarbeitet hat. In ihren tiefen Augen und ihrem markanten Gesicht liest man den Wunsch, das Menschsein abzulegen und in einen anderen Zustand überzugehen, schließlich zum „Fischkind“ zu werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.