Salzburg: Schöpfungsmythen mit Frankenstein

Die letzte Premiere beim Young Directors Project kommt aus Belgien: ein packender Overkill an Fantasie und Bildern.

„Mary Mother of Frankenstein“ heißt die letzte Produktion beim Young Directors Project (YDP) in Salzburg. Der belgische Theatermacher Claude Schmitz und seine Autorin Marie-France Collard präsentieren ausgehend von der an persönlichen Katastrophen reichen Biografie der Frankenstein-Erfinderin Mary Shelley ein Pandämonium vom Werden des Lebens, das laut Programm auch politische Bedeutung haben soll, weil es heutige Techniken von der Gentechnologie bis zur künstlichen Befruchtung aufs Korn nimmt. Die politische Aussage wirkt indes schwach und unklar. Die Kreation selbst ist ziemlich komplex, man könnte auch sagen, Schmitz klaut postmodern, wo er kann, netter formuliert: Er lässt sich vielfältig inspirieren.

Videoaufnahmen einer Geburt

Zu Beginn wird ein Video von einer Geburt gezeigt. Man sieht buchstäblich alles. Das Publikum blieb mucksmäuschenstill, nur mancher seufzte leise. Nach dieser Eröffnung wird die Geschichte Mary Shelleys (1797–1851) erzählt. Sie bietet wahrlich Stoff für mehrere Romane: Die Dichterin und Ehefrau des Poeten Percy Shelley verlor ihre Mutter durch Kindbettfieber bei der Geburt, auch sonst reihte sich in ihrem Leben ein Todesfall an den anderen, sie verlor alle Kinder bis auf eins, ihre Halbschwester brachte sich um, ebenso wie Percy Shelleys erste Frau; er selbst ertrank bei einem Bootsunfall. 1816 verlebten Mary und Percy einen seltsamen Sommer am Genfer See, Marys Stiefschwester Claire hatte sich in Lord Byron verliebt, doch auch Percy Shelley flirtete mit ihr. Anscheinend ging es ein wenig zu wie in einer Kommune, zumindest nach Claude Schmitz' Version.

Im Republic, wo „Mary Mother of Frankenstein“ gezeigt wird, entlädt sich die gespannte Atmosphäre beim Grand Poetry Slam in Genf in endlosen, wohl klingenden, in der Fülle aber auch ermüdenden Rezitationen, in einer Sprachoper. Was gibt's noch zu sehen? Frankenstein erweckt sein Monster zum Leben, das viel Organabfall hinterlässt. Bärtige Wissenschaftler, die an Stummfilme erinnern, versenken die nach den vielen persönlichen Verlusten zermürbte Mary in einem Doppelbett und später auch noch einen halbnackten Prometheus. Das Monster aus „Frankenstein“ sucht eine Partnerin und verflucht seinen Schöpfer. Aus dem Knie eines der bärtigen Wissenschaftler entspringt ein Homunculus, den er verzehrt und anschließend stirbt. Das letzte Wort hat Lord Byron mit seinem unter dem Eindruck eines Vulkanausbruchs verfassten düsteren Gedicht „Darkness“.

Einsamkeit und Selbsthass

Schmitz schlingt bilderreich Motive ineinander: Die Abgründe der Mutterschaft, Marys Einsamkeit und Selbsthass, die Toten in ihrem Leben, die zur Erschaffung eines Untoten führten; die Versuche, Leben im Labor zu erzeugen, die Überhebung des Menschen, die Strafe der „Götter“. Es stecken viele Ideen in dieser Performance, die sich bei allerlei Stilen bedient, bei der Romantik, beim alten britischen Schauerroman – in dem das moderne Mystery-Genre wurzelt – oder auch bei der Science-Fiction. Die schwarzen Schöpfungsmythen, die hier dargelegt werden, wirken bannend, fordernd, erschöpfend. Zeitgenössisches Theater, wie es sein soll. Das Publikum schien mit-, wenn auch nicht unbedingt hingerissen zu sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2010)

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