Dr. Freud: "Hatten Sie Verkehr?"

Dr. Freud
Dr. Freud(c) Kinowelt
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"Mahler auf der Couch" von Percy und Felix Adlon zeigt poetisch, didaktisch und mit leichter Ironie den letzten Sommer des Komponisten. Der Kern der Geschichte:die Beziehungskrise Mahlers im Sommer 1910.

Berge, Wiesen, Holzhütten, ein Mann und eine Frau, die sich ekstatisch umarmen, ein Musiker in der Schaffenskrise, der sich mit Noten quält. Und dann auch noch in endlosen Variationen der erste Satz von Gustav Mahlers unvollendeter Zehnter Symphonie als Leitmotiv, sowie in besonders melodramatischen Momenten das Adagietto aus der Fünften, das er seiner Gattin Alma schenkte... Der Kinofilm „Mahler auf der Couch“ scheint anfangs in Kitsch zu ertrinken.

Alle Signale deuten auf übertriebenes Sentiment, wenn sich Mahler (Johannes Silberschneider) bei der Aussprache mit Sigmund Freud (Karl Markovics), dem Erfinder der Psychoanalyse, glückliche und schicksalsschwere Szenen mit Alma (Barbara Romaner) in Erinnerung ruft. Aber den Regisseuren Percy und Felix Adlon, Vater und Sohn, ist es dann doch gelungen, genügend Kontrapunkte einzubauen, um diesen Film, der den letzten Sommer des Komponisten umkreist, zu einem opulenten Kunstwerk zu machen. Die Dialoge stelzen zuweilen allerdings ziemlich didaktisch daher, wie in einem billigen Doku-Drama.

Der Kern der Geschichte: Im Sommer 1910 durchlebt Mahler (1860 bis 1911) im verflixten neunten Ehejahr eine gehörige Beziehungskrise. Ein Liebesbrief gerät in Mahlers Hände. Seine um 19 Jahre jüngere Frau Alma hat eine erste außereheliche Affäre mit dem jungen Architekten Walter Gropius (Friedrich Mücke). Die Mahlers hatten den Tod einer Tochter zu verkraften, der Posten als Wiener Staatsoperndirektor war durch eine schmutzige Intrige auch schon verloren gegangen – nun wendet sich der schwerkranke Mann an Freud, bittet ihn mitten in dessen Urlaub um Rat. Sie treffen sich für einen Tag im niederländischen Leiden.

Mitten durch Leiden

Das ist historisch verbrieft, die Adlons machen daraus eine fantasievolle und unkonventionelle psychoanalytische Sitzung, die zu den ironischen Höhepunkten des Films zählt. Mahler verweigert das Klappbett als provisorische Couch, die beiden Männer stürmen mit Hut und Mantel hinaus, in Kirchen, über Brücken, in enge Gassen, um Zigarren rauchend zu ergründen, ob der Patient sich schuldig fühlt, ob er bewältigen kann, dass er bereits alt wird, während seine junge Frau doch das Leben genießen sollte.

Mahler schwärmt in Rückblenden von der großen idealen Liebe zweier Künstlerseelen, Freud erwidert profan: „Hatten Sie Verkehr?“ Schließlich wird klar, dass hier ein Alphatier, der ehrgeizigste Musiker, ein Weibchen gesucht hat, das sich ihm opfert, eigene Ambitionen zurückstellen muss. Ob eine sensible Frau dafür die Richtige ist, eine, die von früher Jugend an Umgang mit Künstlern wie Klimt (Manuel Witting) oder Bruno Walter (Michael Dangl) hatte? Und mit Zemlinsky (Matthias Stein), sie fallen unterm Flügel übereinander her. Gustav will ein Weibsbild, keine Kollegin. Alma will Künstlerin sein und wird zur eingesperrten Muse – ein gefährliches Wesen, aber dieser Berufung bleibt sie treu. „Wer Alma Mahler zur Frau hat, muss sterben“, behauptete Claire Goll. Nach Mahler kommt Gropius, kommt Kokoschka, kommt Werfel, aber kein eigenes Werk. Die daraus resultierenden Seelenkrisen sind in diesem Sommer 1910 vorgegeben.

Abgerundet wird dieses Sittenbild der Wiener Sezession durch Szenen, in denen Zeugen des Mahler-Dramas auf verschmälerter Leinwand das Publikum direkt anzusprechen scheinen. Das ist ein wunderbarer Effekt der Ernüchterung. Köstlich wirkt Eva Mattes als Anna Moll, Almas Mutter, eine Königin unter den Salondamen. Wahrhaftig und den Bruder innig liebend erscheint Lena Stolze als Justine Mahler-Rosé. Dieser Film ist ein amüsanter Beitrag zur Psychologie des Liebeslebens und ein sentimentales Porträt des Künstlers als alternder Mann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2010)

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