Markovics "Schauspielen ist mir nicht genug"

(c) Michaela Bruckberger
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Mit "Atmen" dreht Schauspieler Karl Markovics seinen ersten eigenen Film. Ein Gespräch über den Tod und das Leben, die Sehnsucht nach kreativer Arbeit und die Suche nach der Herkunft seiner adoptierten Kinder.

Früher einmal kannte man Karl Markovics als „Stockinger“, später aus dem Oscar-Film „Die Fälscher“, als Franz Fuchs oder Freud, immer aber als Schauspieler. Doch jetzt ist Markovics hinter die Kamera gewechselt. In „Atmen“ erzählt der 47-Jährige von einem Teenager, der auf Bewährung aus der Haft entlassen wird und bei der Wiener Bestattung zu arbeiten beginnt. Dort glaubt er in einer Toten seine Mutter zu erkennen, die ihn als Kind weggegeben hat.

Sie haben bei der Bestattung recherchiert – und davor nie einen Toten gesehen?

Karl Markovics: Nein, und ich glaube, mir geht es da wie vielen. Heute sterben 80 Prozent der Menschen in Spitälern und Heimen. Und in meiner Familie sind zwar Menschen zu Hause gestorben – aber da war ich dann nicht da.

Wie haben Sie es sich vorgestellt?

Gar nicht. Weil ich mir dieses Gefühl ja nicht vorstellen konnte. Es sind ganz atmosphärische Dinge, die da passieren. Beim ersten Mal musste ich an eines der schönsten Rilke-Gedichte denken, in dem zwei Frauen einen Leichnam waschen und Rilke beschreibt, wie dieser tote Mensch Herrschaft über sie besitzt. Dass ein Toter da ist, verändert alles.

Was bewirkt dieser Gegensatz?

Die Geschichte ist ein Spagat zwischen dem Banalen, Alltäglichen, sozial am unteren Ende Stehenden und den größten Ideen, Leben und Tod, Sein und Nichtsein. Jugendgefängnis und Bestattung sind Außenseitermilieus. Dazu kommt, dass der Täter ein Menschenleben ausgelöscht hat. Aber auch sein Zustand liegt zwischen Leben und Tod; in Kinderheim und Strafanstalt hat er kein Bewusstsein für sein Leben entwickelt. Erst über die Begegnung mit dem Tod entscheidet er sich für das Leben.

Spüren auch Sie ein neues Lebensgefühl?

Auf jeden Fall. Meine erste Fahrt mit der Bestattung hat zwei Wochen so stark nachgewirkt wie selten ein Erlebnis. In jede Richtung, in die zweiflerische, grübelnde, wie auch in die absolut positive.

Warum heißt der Film „Atmen“?

Weil Atmen das signifikanteste Merkmal von menschlichem Leben ist. Und wie jemand atmet, ob er lang- oder kurzatmig ist, zeigt seinen Zustand.

Machen Sie Atemübungen oder Meditation?

Nein, aber ich gehe laufen. Auch, weil ich beim Drehen sehr viel rauche.

In „Atmen“ geht es auch um die Suche nach der Herkunft. Sie haben ja zwei adoptierte Kinder. Stellen die sich ähnliche Fragen?

Meine Tochter ist 18, mein Sohn 20, und das ist ein starkes Thema. Sie wissen alles, was wir in Erfahrung bringen konnten. Aber sie kommen aus Indien, da gab es bis jetzt leider keine Möglichkeit herauszufinden, wer die leiblichen Eltern sind. Mein Sohn war zweieinhalb, als er gefragt hat: Wieso ist deine Haut so hell und meine so dunkel? Man kann ihnen die beste Kindheit geben, aber das ist etwas, mit dem sie ein Leben lang zu kämpfen haben. Ohne mich als irrsinnig gebildet hinstellen zu wollen, noch ein Zitat, es ist halt eines der schönsten: „Die Kindheit“, sagt Doderer, „ist wie ein Eimer, der einem übergestülpt wird. Man kann die Kleider wechseln, so oft man will, ständig rinnt es an einem herab.“

Zu Ihren eigenen Eltern spürten Sie Distanz?

Sehr stark. Arbeiterfamilie, mein Vater war Berufskraftfahrer, meine Mutter Verkäuferin. Dem Kind hat man ermöglicht, aufs Gymnasium zu gehen. Mit 14, 15 hab ich begonnen, wahnsinnig viel zu lesen, eine klare Absonderung. Ich hab klassische Musik gehört, mein Vater nur Schlager. Ich habe eine extreme Distanz empfunden zwischen dem, wo ich herkomme, dem, wo andere schon sind – und mir, nicht wissend, wo ich hingehe.

Warum führen Sie jetzt Regie?

Das wollte ich im Hinterkopf immer schon machen, etwas Kreatives. Ich habe immer geschrieben, Drehbücher, Theaterstücke. Ich glaube, dass es die richtige Zeit für Dinge gibt. Und dass die einem, wenn man hellhörig ist, auch ein Zeichen geben. Wenn man dann noch jemanden hat wie meine Frau, die sagt: „Jetzt lass das doch mal jemanden lesen“, dann kann es funktionieren. Es war mir klar, dass mir irgendwann das Schauspielen nicht reicht.

Sie haben das Drehbuch geschrieben, jetzt die ersten Wochen Regie geführt. Ihr Fazit?

Es ist das Schönste, was ich je gemacht habe. Als Schauspieler ist man der Regie und dem Stück unterworfen. Ich wollte früher anfangen, beim Nullpunkt. Das lässt sich mit nichts vergleichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2010)

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