Woody Allen macht Filme als Selbsttherapie

Woody macht Filme Selbsttherapie
Woody macht Filme Selbsttherapie(c) Filmladen
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„Presse“-Premiere. „Ich sehe den Mann deiner Träume“, eine typische Tragikomödie von Woody Allen: In dessen persönlichem Kinouniversum kann es keine Gewissheiten geben.

Alle Jahre wieder kommt ein Woody-Allen-Film ins Kino: Kein Wunder bei einem Regisseur, der laut eigenen Aussagen unter Zwangsneurosen leidet und seinen Alltag penibel in Routinen gliedert. Als Künstler ist der New Yorker immer schon ein Getriebener gewesen: In den legendären (und ziemlich lustigen) Kabarettprogrammen, die er ab den frühen 1960ern im Duplex Club zum Besten gab, arbeitete er bereits seine ernüchternde Kindheit zwischen Elternstreitereien und Außenseiterdasein in lakonische Sketches um.

Da erzählt der schlaksige Brillenträger, wie er als Jugendlicher auf dem Weg zu einem Amateurmusikwettbewerb von mehreren Gleichaltrigen verprügelt wurde – und das Publikum bricht in schallendes Gelächter aus. In Woody Allens Neurotikerhülle lassen sich eben fast alle empfundenen Nichtkompatibilitäten mit der Gesellschaft einfüllen. Seine frühen Filme jazzten so spontan um die Ecke wie die Improvisationen dieses begeisterten Klarinettisten: pointierte Dialogkaskaden zwischen Stadtpflanzen, die ein ums andere Mal vom Leben um sie herum in die Knie gezwungen werden.

Verjüngungskur mit Prostituierter

Sicherheiten demontiert Allen auch in seiner jüngsten Regiearbeit Ich sehe den Mann deiner Träume (im Original: You Will Meet a Tall Dark Stranger): Der 2010er-Jahrgang seines Spinnertenkabinetts konzentriert sich auf diverse Gefühlskatastrophen in einer Londoner Mittelklassefamilie. Der Mittsiebziger Artie (charmant: Anthony Hopkins) verordnet sich aus Altersfrust eine Selbstverjüngungskur mit der blonden Prostituierten Charmaine (auftoupiert, überkandidelt: Lucy Punch), was seine Exfrau in die Arme einer dubiosen Wahrsagerin treibt. Ihre gemeinsame Tochter Sally (Naomi Watts) hingegen flüchtet aus der fahl gewordenen Beziehung mit einem schmerbäuchigen Möchtegernschriftsteller (Josh Brolin) in die Nähe des mondänen Galeriebesitzers Greg (Antonio Banderas). Schon beginnt sich das Leidenschaftskarussell zu drehen. Typisch Allen, bis zum Ende, an dem nur die Gewissheit bleibt, dass es keine Gewissheit geben kann.

Woody Allens Kinouniversum ist ungebrochen verschroben und sehr persönlich: Die Stadien seines Werks spiegeln vor allem sein Verhältnis zur Umwelt wider, die Filme sind aufgeladen mit seinen Interessen und Leidenschaften. Kino diente schon dem jüdischen Buben Allan Konigsberg, der sich später Woody Allen nannte, zur Realitätsflucht. Er verkroch sich in New Yorker Filmpalästen, wenn ihm die verhasste Schule wieder besonders auf die Nerven ging. Mit der Wirklichkeit kommt der von Angstzuständen und Depressionen gebeutelte Regisseur immer noch nicht zurecht: Heute flieht er allerdings hinter die Kamera.

Urlaub von der Depression

In den 1990ern sank parallel zur allgemeinen Dekonstruktion des Autorenkinos die kommerzielle und kritische Wirksamkeit seines Werks: Kommentatoren schrieben den einst so zeitgeistig groovenden Regisseur als antiquiert ab. Ungebremst realisiert Allen mittlerweile die meisten Produktionen in Europa (und mit europäischen Geldern): In der katalanischen Stadt Oviedo ziert gar eine Woody-Statue aus Bronze die Fußgängerzone.

Der Regisseur empfindet die transatlantischen Arbeitsreisen als Urlaub von der Depression: Für einige Monate umgibt er sich mit schönen, erfolgreichen Menschen und blendet alles andere aus. Film als selbsttherapeutisches Instrument: gut für Woody Allen, weniger gut für das Publikum, das seine sanft dahinplätschernden Arbeiten weiter goutiert, aber eher als Pop-Phänomen denn als Regiekunst. Irgendwie sind Allens Filme oft wie Familienweihnachtsfeiern. Erst die Freude, alle wiederzusehen: Ein heimeliges Gefühl stellt sich ein. Wenig später der Ärger, dass immer alles gleich ist. Zuletzt Fröhlichkeit, dass es ein Jahr bis zum Wiedersehen mit dem nächsten Woody-Allen-Film dauert.

Interview mit Naomi Watts: heute im „Schaufenster“, S.38.

Ein Dreivierteljahrhundert Woody Allen

Woody Allen feierte gerade seinen 75. Geburtstag: Am 1. Dezember 1935 kam er als Allan Stewart Konigsberg in Brooklyn zur Welt. Als Teenager begann er im Showbusiness. In den 1960ern gelang ihm der Durchbruch als Stand-Up-Comedian, der durch linkisches Auftreten auffiel. Seine neurotische Persona machte Allen
ab den 1970ern als Darsteller-Autor-Regisseur in Filmen weltberühmt.

Als Filmemacher begann Allen mit Nonsens-Komödien, ab dem Oscar-Erfolg „Der Stadtneurotiker“ (1977) schlug er auch ernstere Töne an. Bis heute macht Allen so gut wie jedes Jahr einen Film mit Starbesetzung, seit 2005 auch regelmäßig in Europa. „You Will Meet a Tall Dark Stranger“ ist sein 41. Kinofilm und startet heute bundesweit, sein nächster, „Midnight in Paris“, ist bereits abgedreht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2010)

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