"Black Swan": Ein Film als perfekte Maschine

(c) AP (Niko Tavernise)
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Regisseur Darren Aronofsky ist besessen von Körpern. Doch der Geschichte einer fanatischen Tänzerin fehlt das versprochene Seelendrama. Natalie Portman wurde für ihre Leistung mit einem Golden Globe belohnt.

Man kann gar nicht anders, als zu überlegen, was aus Black Swan hätte werden können: ein raffinierter psychologischer Thriller, in dem die Theatralik des Balletts mit theatralischen Psychopathologien gekreuzt wird. Ein intensives Drama über die selbstzerstörerischen Ambitionen einer Ballerina aus einer Arbeiterklassenfamilie. Oder ein feister B-Horrorschocker in surrealistischem Aufzug, in dem Realität und Fantasie ineinanderrinnen.

Als fertiger Film enthält Darren Aronofksys weltweit gepriesener Black Swan Teilstücke all der obigen Geschichten, bleibt aber unfertig, unrund und flugunfähig. Nina Sayers (verkörpert von Natalie Portman) ist eine hübsche, fragil wirkende Frau Mitte zwanzig, deren gesamtes Sein um ihre Ballerina-Karriere kreist. Von ihrer so grausamen wie zärtlichen Mutter (die legendäre Barbara Hershey in einer ziemlich lächerlichen Rolle) angetrieben, erhält sie durch den Ausfall von Primaballerina Beth (eine feiner, kleiner Auftritt für Winona Ryder) die Gelegenheit ihres Lebens: Als Schwanenkönigin in einer modernen Interpretation von Tschaikowskys „Schwanensee“ steht sie im Mittelpunkt, wird zum Star. Regisseur Thomas (amüsant und sehr französisch: Vincent Cassel) zweifelt anfänglich noch an der Fähigkeit der so rein und unberührt wirkenden Nina, nicht nur den guten weißen Schwan, sondern auch den abgründigen schwarzen Schwan zu spielen. Seine Sorge ist unbegründet: So fanatisch studiert sie ihre Rolle, dass sich die Wirklichkeit um sie herum schon bald auflöst, dass Wahnvorstellungen, paranoide Schübe und Gewaltausbrüche sie tatsächlich zum „Black Swan“ werden lassen. Kameramann Matthew Libatique fasst ihre Transformation in entgleisende Bilder ein: Immer näher rückt er ihr, hängt an ihr, verfolgt sie und stürzt schließlich mit ihr in eine Albtraumwelt, in der Federn aus Menschenhaut wachsen und eine konkurrierende Ballerina (großartig: Mila Kunis) zur bedrohlichen Doppelgängerin mutiert.

Parallelen zu „The Wrestler“

In Black Swan werden die Körper geschunden und zur Höchstleistung angetrieben. Nina will ihre fleischliche Hülle hinter sich lassen und sprichwörtlich aus der Haut fahren: Ihre Geschichte zeigt an der Oberfläche Parallelen zu der von Mickey Rourkes alterndem Wrestler, dessen Erfolg Aronofksy vor zwei Jahren in die erste Riege von Hollywood katapultiert hat. Der Regisseur selbst meint, dass die Filme komplementär zueinander sind, da beide Geschichten von glamourös scheiternden Körperkünstlern erzählen.

Eigentlich aber steht Black Swan einem früheren Film Aronofskys näher: Schon in Requiem for a Dream (2000) hetzte er Transzendenzsuchende durch ein Bildlabyrinth, führte sie wie Laborratten durch abgründige Sequenzen. Aronofskys Kino ist besessen vom Organischen, von Körpern und deren Dekonstruktion; es ist selbst gebaut wie ein Uhrwerk, wie eine perfekte Maschine.

Bewegend ist auch an Black Swan nur das Erlebnis, als Zuschauer in eine solche Apparatur eingespannt zu werden. Aronofsky gehört zu einer Generation von Regisseuren, die technologische Perfektion nicht mehr mit erzählerischer Substanz verbinden können. Denn wenn man diesen Schwan erst von all seinen Federn befreit hat, dann liegt darunter nicht das versprochene tiefgründige Psychodrama, sondern ein ziemlich bescheuertes und überhaupt nicht raffiniertes Dramolett, dessen Leitthema es ist, dass ein weißer Schwan zu einem schwarzen, dass ein guter Mensch zu einem bösen werden kann. Aha. Diesen Groschenroman-Stoff hat Arnofskys zu einem Hochkonzept-Prestigebomber aufgeblasen. Dass er damit durchkommt: auch eine Kunst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2011)

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