Jahrelanger Kampf für den Bruder

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Hilary Swank und Sam Rockwell brillieren im Justizdrama „Betty Anne Waters“ nach einer wahren Geschichte: eine „Presse“-Premiere, ab Freitag im Kino.

Am Anfang eine unheimliche Kamerafahrt durch einen stillen Wohnwagen, vorbei am flüchtigen Bild einer Leiche und Blutspuren eines Kampfes. Dieses Verbrechen wird das Leben der Waters-Geschwister aus der Bahn werfen: Kenny (Sam Rockwell), notorisch polizeibekannt, wird gleich gewohnheitsmäßig verhaftet, schließlich wegen Mordes an seiner Nachbarin zu lebenslanger Haft verurteilt. Nur seine Schwester Betty Anne (Hilary Swank) glaubt seine Unschuldsbeteuerungen bedingungslos – und beginnt einen Kampf um seine Freiheit, der 18Jahre lang dauern wird.

Die erstaunlich Geschichte der Waters-Geschwister ist die Grundlage des hervorragend gespielten Hollywoodfilms Betty Anne Waters: Als Justizdrama um ein langwieriges und immer wieder aussichtslos scheinendes Ringen um Gerechtigkeit folgt die vom Schauspieler und TV-erfahrenen Regisseur Tony Goldwyn inszenierte Produktion zwar den Regeln eines bewährten Genres. Ohnehin wurde die Story – damit der Ausgang des Verfahrens – weithin publiziert: Es ist eine jener Geschichten, die fast unglaublich wirken würden, wären sie nicht wahr. Um ihrem Bruder Hoffnung zu geben, holt Betty Anne die abgebrochene College-Ausbildung nach und beginnt ein Jus-Aufbaustudium, um seine Unschuld zu beweisen. Weil sie sich immer mehr in den Fall verbeißt, verlässt sie der Mann, später folgen ihm ihre Kinder. Dann stößt sie auf unüberwindlich wirkende rechtlich und politische Hürden...

Irritationen in der Erzählung

Aber die Spannung in diesem Film verdankt sich nicht dem Warten auf das Ergebnis, sondern wie es dazu kommt: Insbesondere in der ersten Hälfte werden dabei einige recht unerwartete Haken geschlagen. Der beunruhigenden Kamerafahrt zu Beginn folgen bald weitere kleine Irritationen: Die Erschütterung der Leben der beiden Hauptfiguren übersetzt sich stilistisch in chronologische Sprünge. Fragmentarische Rückblenden in die 1960er skizzieren, wie die enge Bindung zwischen Betty Anne und ihrem Bruder in Jugendjahren entstand: Von der Mutter vernachlässigt, ergehen sie sich in asozialen Spielen. Sie stehlen Zuckerln und steigen in fremde Häuser ein, um sie zu essen oder herumzuhängen. Nachdem sie von der Polizei bei einem Einbruch ertappt werden, werden sie auf getrennte Wege geschickt: Kenny kommt in die Besserungsanstalt, seine Schwester zu Pflegeeltern.

Trotz der gemeinsamen Glücksmomente entsteht das Mosaik einer schmerzhaften Jugend, verzahnt mit der Schilderung erwachsener Angst. 1982, zwei Jahre nach dem Mord, wird Kenny verhaftet und verurteilt. Schon zuvor bringt eine Schlüsselszene sein unberechenbares Wesen auf den Punkt: Bei einem Tanzabend, sein kleines Baby ist dabei, wird er im Handumdrehen vom Spaßvogel zum Aggressor. Kaum jedoch hat er einen Mann brutal zu Boden gestreckt, bringt er mit einem improvisierten Striptease das ganze Lokal wieder zum Lachen.

Sam Rockwell ist superb im Spielen solcher sprunghafter Figuren: Kenny schwankt impulsiv zwischen liebenswert und gewalttätig – ein Mord wäre ihm manchmal durchaus zuzutrauen. Ob er schuldig ist, wird zum Vorteil des Films lange offen gelassen. Nur Betty Anne zweifelt keine Sekunde: Ihre Sturheit in der Causa hat oft etwas verstörend Obsessives, das Wortspiel des Originaltitels – Conviction steht für Urteil, aber auch Überzeugung – zeigt sich da in einem bemerkenswerten Zwielicht: Hilary Swanks Betty Anne ist keine reine Sympathiefigur. Der schauspielerische Gegensatz zwischen Swanks zielstrebigem missionarischen Eifer und Rockwells flatterhaftem Temperament treibt dabei den Film an: Im Kern ist er eine Liebesgeschichte unter Geschwistern.

Intensiver Auftritt: Juliette Lewis

Unterstützt von bewusst eindimensionalen, aber intensiv porträtierten Nebenfiguren (Melissa Leo als verbohrte Polizistin und vor allem Juliette Lewis als Kennys rachsüchtige White-Trash-Verflossene) entsteht ein bemerkenswertes Charakterdrama. So befriedigend im Weiteren die hart erarbeiteten Erfolgserlebnisse im Kampf gegen die Ungerechtigkeit sind: Dessen souveräne, aber nachgerade uhrwerkshafte Dramaturgie ist dann doch wesentlich konventioneller.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2011)

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