Mikesch: „In der Kunst gibt es kein Ergebnis“

(c) Filmgalerie 451
  • Drucken

Die Steirerin Elfi Mikesch ist eine der wichtigsten Regisseurinnen und Kamerafrauen des deutschen Kinos. Nächste Woche gastiert sie in Wien. Ein Gespräch über Träume, die Beschleunigung der Zeit und 3-D-Spektakel.

Es ist ein ereignisreiches Jahr für Elfi Mikesch, eine der herausragenden Regisseurinnen und Kamerafrauen des deutschsprachigen Kinos: Zwei neue Filme hat die 70-jährige Steirerin vorgestellt, bei der Grazer „Diagonale“ galt ihr eine Werkschau, nächste Woche gastiert sie mit ihren dokumentarischen Arbeiten im Wiener Filmcasino. Auch da laufen ihre beiden neuen Filme, in gewisser Weise bilden sie eine Klammer um Mikeschs Leben und Laufbahn: Die bewegende Dokumentation Mondo Lux – Die Bilderwelten des Werner Schroeter ist dem im Vorjahr verstorbenen Ausnahmeregisseur Werner Schroeter gewidmet, mit dem Mikesch eine lange Freundschaft und Arbeitsbeziehung verband. Mikeschs Karriere als Kamerafrau in Deutschland ist geprägt von solchen engen persönlichen Kollaborationen: Auch für die „Lebensfreunde“ Rosa von Praunheim und Monika Treut hat sie immer wieder Filme fotografiert.

In der zweiten neuen Dokumentation Judenburg findet Stadt blickt Mikesch noch weiter zurück: Es ist ein Porträt ihrer steirischen Heimatstadt, die sie früh verließ – gegen Ende des Films erzählt Mikesch, wie sie ihrer Mutter bereits mit 14 Jahren gesagt hatte, dass sie von hier weggehen würde.

Mit 20 Jahren weg aus Judenburg

„Weggegangen bin ich aber noch nicht mit 14“, erklärt Mikesch im Interview, „da kam nur der Gedanke: Ich muss schauen, was hinter den Bergen liegt. Gegangen bin ich mit 20, als ich meine Fotografielehre abgeschlossen hatte: Mit meinem damaligen Mann, einem Künstler, zog ich über Innsbruck nach Frankfurt und Berlin.“ Dort begann ihre künstlerische Entwicklung: „Ich hatte aufgehört zu fotografieren, weil Gebrauchsfotografie – das wollte ich nicht, ich wusste: Da ist noch was dahinter. Durch die Begegnung mit Künstlern wie von Praunheim und Schroeter habe ich meinen Blick entdeckt: Wie ich mich bewegen kann mit meinem Fotoapparat, und dann mit meiner Filmkamera. Es war eine Zeit der Experimente, des Aufbruchs in verschiedene Richtungen. Mich hat nicht interessiert, was im Gebrauchsgewerbe nötig war. Der Dokumentarfilm hat mich interessiert.“ Auch da gab sich Mikesch experimentierfreudig: Ihre Dokumentationen setzen auf starke Stilisierung und Ästhetisierung, sie baut – damals unüblich – auch Spielszenen ein. „Wie in der Fotografie wollte ich eine Kreativität finden, und zwar nicht nur meine, sondern auch bei meinen Protagonisten.“

Spiel mit der Sehnsucht

Der besondere spielerische Zugang ist schon in Mikeschs erstem Dokumentarfilm ausgeprägt: Ich denke oft an Hawaii (1978), über ein Mädchen, das mit Mutter und Bruder am Berliner Stadtrand lebt: Hawaii-Musik und Postkarten beflügeln ihre Träume. „Da war nicht selbstverständlich, was die Figuren einbringen würden“, meint Mikesch. „Es war dann eine schöne Kommunikation in einer fast sprachlosen Welt. Eine ganz normale Alltagswelt – aber dann hat jeder Mensch Träume, ich meine nicht nur die Schlafträume, sondern auch Sehnsüchte: Was wünschen wir uns vom Leben? Genau das ist mein Parkplatz, auch im Dokumentarfilm. Die Figuren sind keine Schauspieler, aber sie entdecken neue Seiten, haben Freude am Singen oder Spielen, das macht das Leben etwas einfacher.“ Für die zutiefst ergreifende Altersheim-Dokumentation Was soll'n wir denn machen ohne den Tod (1980) brachte Mikesch „zwei Menschen von außerhalb ein, die so gar nichts mit Altenpflege zu tun hatten, das dann aber sehr liebevoll und zärtlich machen.“ Ein Spielfilm wie die eigenartige Meta-Detektivgeschichte Macumba (1982) hat dafür eine geradezu dokumentarische Qualität: als Porträt des damaligen Zeitgeists. „Da gab es ja so ein Vakuum zwischen den 60ern und später den 80ern, einen luftleeren Raum, als entschieden werden musste: wohin eigentlich? Die politische Geschichte ist eskaliert, die andere Seite hat sich in Drogen verstrickt. In der Ära von Yuppie-Kommerz wollten die Künstler, die Menschen weiterträumen, das war unentschieden, aber auch sehr erfinderisch. Wenn ich den Film heute sehe, mit welchem Zeitmaß der arbeitet – da sehen wir die Befindlichkeit einer Szene. Die Zeit kennen wir heute so gar nicht mehr, weil alles so getrieben, gejagt und beschleunigt wird.“

Die Explosion der Bilderproduktion seit der digitalen Revolution spielt da mit: In Judenburg findet Stadt gibt es eine wunderbare Szene mit Herrn Mord, einem „Fotograf aus Leidenschaft“. Er erzählt, wie er früher auf Urlauben drei, vier Filmrollen verschossen hat und daraus Diashows machte – nun klagt er, er säße jedesmal mit tausenden Digitalaufnahmen im Keller am Rechner.

Das Medium als Forscherwerkzeug

Technischer Wandel ermöglicht aber auch Entdeckungen: „Vor Jahren habe ich gesagt: Nie eine elektronische Kamera, immer Schwarz-Weiß – und schauen sie sich jetzt mein Werk an! Es geht darum, die Technik so zu nutzen, dass ich etwas damit finden kann.“ So schwärmt Mikesch vom „eindrucksvollen 3-D-Spektakel in Märchen wie Alice im Wunderland oder Avatar“, hebt dann aber Wim Wenders' 3-D-Film Pina hervor. Denn: „Da fragt man sich: Was ist da der Raum? Was macht der mit mir? Das ist nicht bloß ein Effekt, das sind Eröffnungen über uns selbst, wenn wir das nicht so als Materialschlacht verschleudern, sondern als Geschichten sehen, die menschliche Bedürfnisse ausmachen. Das Geschichtenerzählen geht ja zurück bis in ,1001 Nacht‘.“ Das Medium als Forscherwerkzeug? „Ja, zur Erforschung unseres Planeten mit den Mitteln des Kinos und der visuellen Kunst.“

Das erinnert an einen Satz von Werner Schroeter in Mondo Lux: „Die Suche ist das Wesentliche in der Kunst, nicht das Ergebnis. Es gibt kein Ergebnis.“ Würde Mikesch dem zustimmen: „Natürlich! Das ist so schön gesagt, es ist die Quintessenz. Und alles, was rundherum passiert: Das ist die Vielfalt.“

Filmschau in Wien

„Verrückt bleiben, verliebt bleiben – Das dokumentarische Kino der Elfi Mikesch“ heißt die Schau von 14. bis 17. April im Filmcasino Wien, zu der Mikesch persönlich anreist. Die neuen Filme „Mondo Lux“ und „Judenburg findet Stadt“ laufen ebenso wie frühe Regiehauptwerke. Ihre Kameraarbeit repräsentiert Werner Schroeters prächtiger „Poussieres d'amour“ (1996) über Opernsängerinnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.