Kultsatiriker Morris: Dschihad mit Disney

Dschihad Disney
Dschihad Disney(c) Polyfilm
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Englands kontroverser Kultsatiriker Chris Morris sprach mit der "Presse" über seine Selbstmordattentäter-Komödie "Four Lions" und den Umgang mit der Ideologie von Terroristen, die sich vor Mäusen fürchten.

Für kontroverse TV-Satiren wie „Brass Eye“ hat man Sie als „meistgehaßten Mann Großbritanniens“ tituliert. Ihr erster Kinofilm „Four Lions“ ist eine Komödie über unfähige islamische Selbstmordattentäter in England. Das klingt nach einer weiteren Provokation, aber tatsächlich haben Sie den Stoff aus jahrelanger gründlicher Recherche zum Thema entwickelt: Sie stießen dabei immer wieder auf Absurdität und Inkompetenz.

Chris Morris: Ja, eigentlich beschäftigte ich mich erst nur aus persönlichem Interesse mit dem Thema, ich war nicht auf der Suche nach einem Projekt. Ich wollte mehr darüber erfahren, weil die Medienberichterstattung dazu so unergiebig ist, auch was das Politische angeht. Ich wollte die historischen und ideologischen Hintergründe verstehen. Es war natürlich nicht so, als wäre ich nur auf Dschihadisten gestoßen, die ununterbrochen Fehler machen oder miteinander streiten – aber solche Fälle tauchten regelmäßig auf: Das wirkte wie ein Witz am falschen Ort. So las ich über eine jemenitische Gruppe, die ein amerikanisches Kriegsschiff zerstören wollte, indem sie es mit einem Boot voller Sprengstoff rammten. Um drei Uhr morgens beluden sie heimlich ihre Barkasse, ließen sie zu Wasser – und dann soff sie einfach ab.

Klingt wie eine Szene mit Laurel und Hardy.

Genau. Ich musste lachen und dachte: Das ist wie in einem Film! Also überging ich es zuerst, stieß dann aber immer wieder auf ähnliche Beispiele. Auch bei erfolgreichen Terroristen wie dem 9/11-Drahtzieher Chalid Scheich Mohammed. Der brauchte zwei Stunden, um seine Kleidung für ein Fernsehinterview auszuwählen, weil er nicht so fett aussehen wollte. Dann zitierte er bei der TV-Aufnahme häufig aus dem Koran, doch die Journalisten merkten, dass er sich ständig irrte und begannen ihn zu korrigieren. Es gab auch die Mitglieder einer kanadischen Terrorzelle, die zum Trainingscamp in die Wälder fuhren, aber dann in ihrem Kombibus schliefen, weil sie Angst vor einer Maus hatten! Wenn man regelmäßig auf solche Vorkommnisse stößt, wird einem klar, dass da ein Aspekt im großen Ganzen übersehen wird. Gleichzeitig dämmerte mir, dass so etwas immer passiert, wenn Leute etwas zu organisieren versuchen. Fehlleistungen, Auseinandersetzungen und Missgeschicke dieses Ausmaßes gibt es genauso unter Politikern, Umweltaktivisten, Polizisten oder Fußballspielern. So ist das Leben eben, das gilt auch für Dschihadisten. Also dachte ich: Erstens ist es lustig und zweitens hat es uns auch etwas zu erzählen. Let's go!

Einer der subversivsten Aspekte des Films ist dabei, dass die Geschichte durchaus konventionellen Hollywoodkomödien ähnelt, indem sie einer Gruppendynamik folgt. Sonst sind das lustige Abenteuer einer Gruppe Burschen auf der Jagd nach Sex oder Erfolg. In „Four Lions“ wollen sie stattdessen Märtyrer werden.

Ja, egal ob es eine Komödie über unfähige Einbrecher ist oder ein Sexlustspiel wie „The Hangover“: Es geht um Leute, die ein Ziel verfolgen. Bei mir tun sie das aus anderen Gründen. Sie sehen sich als Kämpfer für Gerechtigkeit, und sie suchen buchstäblich etwas, woran sie glauben können. Sie brauchen das, es ist ein romantischer Traum: Soldaten in einer unanfechtbaren epischen Erzählung zu werden, und dabei Protest und Widerstand zum Ausdruck zu bringen. Das gehört zur Psychologie dieser Leute – und dass sie sich als Teil einer Gruppe fühlen.

In gewisser Weise ist es dabei eher ein Film über das Leben in der westlichen Welt: Die Hauptfigur Omar führt eine normale Mittelklasse-Familienexistenz, eine Szene bezieht ihre Komik daraus, dass er ausgerechnet Disneys „König der Löwen“ als Gutenachtgeschichte erzählt und dabei zur Märtyrer-Allegorie umformt: der islamische Extremismus als Weg, die spirituelle Leere des Lebens in der kapitalistischen Konsumgesellschaft zu füllen.

Ja, der „König der Löwen“ liefert eben eine heroische Geschichte von Gut und Böse als Grundlage. In England gab es einen Gerichtsprozess mit viel Überwachungsmaterial von MI5: Da sieht man einen der Angeklagten in der Glaubenskrise, weil er so ein großer Fan des „Herrn der Ringe“ war, dass es sein Interesse an Gott zu übersteigen drohte. Seine ganze Gruppe mochte „Herr der Ringe“, weil es die nötige Gut-Böse-Erzählung als Bezugsrahmen für ihre Taten liefert: Sauron ist Satan usw. Aber George Bush ist bei seinen Militäraktionen genauso vorgegangen: „Für uns oder gegen uns.“ Und das Verhältnis zur Kultur des Westens ist sicher wichtig für die Position dieser Menschen, aber die Figuren im Film sagen auch viele kritische Dinge über die Leere des Lebens, denen jemand zustimmen würde, der sicher nicht für den Dschihad ist. In „Four Lions“ ist das meistens komisch, aber eigentlich sehe ich da einen Grund, warum uns die Ideologie von muslimischen Extremisten besonders nervös macht: Manchmal stecken Gefühle über unsere eigenen Kultur drinnen, die wir auch empfinden.

Den Islam an sich behandeln Sie aber durchaus respektvoll: Eine Nebenhandlung erzählt von einem Schwager, der nach ultraorthodoxem muslimischen Glauben lebt und die Idee von Attentaten völlig ablehnt.

Wie die meisten Muslime! Es ist ein sehr kleiner Prozentsatz, der Gewalt ausübt, aber die Zuschreibungen laufen verkehrt herum: Die meisten Leute interessieren sich nur für den Islam wegen dieser kleinen Gruppe von Terroristen. Die Balance ist falsch!

In England wurde „Four Lions“ nicht so kontrovers aufgenommen wie viele ihrer TV-Arbeiten.

Weil der Film nicht so verstörend daherkommt. Die Figuren haben etwas Menschliches, das Publikum mag sie – egal, wie es zusammengesetzt ist. Viele Muslime und Pakistanis haben mir erzählt, dass sie sich oder ihre Freunde wiedererkennen, auch wenn es für den komischen Effekt übertrieben ist. Seltsamerweise kam „Four Lions“ also sehr gut an, auch wenn die Leute keineswegs unkritisch waren. Vielleicht war es die Erwartung, dass ich mal wieder schreiend und brüllend mit der Tür ins Haus fallen würde, wie teilweise in meiner früheren Arbeit. Aber das Thema ist hier schon so ein Brüller, da trat ich einfach ganz höflich ein.

In Deutschland hat ein konservativer Politiker prompt ein Verbot von „Four Lions“ verlangt – ohne ihn gesehen zu haben, wie so oft, wenn nach Zensur gerufen wird.

Ja, ich glaube, es wäre schwer, es zu tun, nachdem man den Film gesehen hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2011)

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