„Scream 4“: Horror mit dem Herz antiker Tragödie

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„Scream 4“ kommt als postmoderne Horror-Fortsetzung daher, im Kern geht es allerdings um die mythischen, irrationalen Aspekte des Erwachsenwerdens. In zehn Jahren wird man den Film als Meisterwerk verstehen.

Heutiger Horror muss ernsthaft sein: Selbst Neuaufbereitungen von gar nicht mal so unheimlichen Klassikern – bestes Beispiel: die Teenager-Schlachtplatte Freitag, der 13. – geben sich humorfrei und ostentativ verstörend. So mutet es fast ironisch an, dass einer von Hollywoods cleversten Horror-Regisseuren seine cleverste Kreation gerade jetzt wiederbelebt. Als Wes Cravens auf diversen Meta-Ebenen balancierender Schlitzerfilm Scream 1996 herauskam, krähte das jugendliche Zielpublikum nämlich weniger nach Blut und Beuschel als nach postmodern-parodistischem Humor der Marke „Ich durchschaue dich, will mich aber trotzdem fürchten!“
Das Setting, damals wie heute: Ein Serienmörder in schwarzem Umhang und mit einer Maske von Edvard Munchs unheimlichem Seelengemälde „Der Schrei“ auf dem Gesicht geht in der US-Kleinstadt Woodsboro um. Opfer seiner Wahl sind die jungfräuliche Sidney Prescott (damals wie heute: Neve Campbell) und ihre Klassenkameraden, die dem Killer vermittels Horrorfilm-Überlebensregelwerk, abgeleitet aus Genre-Klassikern wie Halloween, das Handwerk zu legen versuchen.

Neue Leichen in Woodsboro

Jetzt also, wo die Postmoderne röchelnd im Staub eines neuen Klassizismus liegt, versucht Wes Craven eine neue Generation nach Woodsboro zu locken. Scream 4, erneut geschrieben von Hollywoods (Ex-)Wunderknaben Kevin Williamson, beginnt wie eine Parodie auf die ersten drei Filme und deren Eröffnungssequenzen: ein Film-im-Film-im-Film-Labyrinth, wo spitze Messer in straffe Bäuche stechen, ganz egal, auf welcher Meta-Realitätsebene man sich gerade befindet. Craven konzentriert die Haupthandlung dann erneut auf Prescott, die während einer Lesereise für ihr aktuelles Traumabewältigungsbuch in Woodsboro Station macht. Just an dem Tag, als die örtliche Polizei unter Leitung von Sheriff Dewey (wunderbar, aber unterfordert: David Arquette) die ersten der neuen Leichen findet.

Es folgt überraschend spannungsfreies, aber konsequent unterhaltsames Unterwandern und Erfüllen von Erwartungshaltungen: In Scream 4 fehlen die opernhaften Aufbauten und Inszenierungen der ursprünglichen Trilogie, Dialoge und ganze Szenenfolgen verbeugen sich vor dem mächtigen Original, das seinerzeit eine beispiellose Horrorkino-Renaissance eingeläutet hat. Craven und sein Autor Williamson kopieren das Figurenarsenal aus Scream in den aktuellen Film: Die Überlebenden – Sidney, Sheriff Dewey, die geläuterte Klatschreporterin Gale Weathers (eine perfekte Karla Kolumna: Courtney Cox) – bewältigen ihr Wiedersehen mit Referenzen auf die vergangenen Ereignisse, eine neue Generation (die 2.0-Versionen der alten Helden) übt sich indes im Hauptfach „Leben, das die Kunst, die das Leben imitiert“.
Irritierend streng durchgehalten ist demnach auch die Ästhetik des Films: Kameramann Peter Deming ändert kaum den satten, leicht unscharfen Look der Trilogie, die bewährten Tonsignaturen und Musikschleifen von Stammkomponist Marco Beltrami wirken wie ein geisterhafter Erinnerungskanon. An gewissen Gegenwärtigkeiten kommt aber auch Scream 4 nicht vorbei: Twitter, Facebook und all die anderen Insignien der Social-Networking-Kultur werden allerdings sanft und völlig ohne Hysterie eingewoben, was ein atemberaubendes Paradoxon produziert. Dass der Reboot dieser für ihre Zeit so originellen und avantgardistischen Horrorfilm-Reihe so vollkommen entspannt und unoriginell daherkommen würde, damit konnte keiner rechnen. Tatsächlich wirkt Scream 4 für Kenner des Originals wie eine Zeitmaschine, für alle anderen wie ein durchschnittlicher Schlitzerfilm.

Diese Einfachheit täuscht allerdings: Wes Craven setzt sich stets mit den mythischen, irrationalen Aspekten des Erwachsenwerdens auseinander und hetzt den alleingelassenen Jugendlichen wie in einem perversen Initiationsritual immer und immer wieder seine Geister und Dämonen, ob sie Freddy Krueger oder „Ghostface“ heißen, hinterher. Unter der Oberfläche dieses so zeitgeistig aufgemachten Films pocht das Herz einer antiken Tragödie. Die erzählt davon, wie man vergangene Geister los wird und neue beschwört. In zehn Jahren wird man Scream 4 vermutlich ein Meisterwerk nennen. Ganz im Ernst.

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