Glawogger: "Zwangsprostitution ist nicht der Alltag"

Glawogger Zwangsprostitution nicht Alltag
Glawogger Zwangsprostitution nicht Alltag(c) AP
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Die Rituale, mit denen Frauen und Männer um Sex (und Liebe) verhandeln, sind stets die gleichen – egal, ob am Ende dafür gezahlt wird oder nicht, glaubt Regisseur Michael Glawogger. Ein Gespräch.

Sie kommen gerade aus Mexiko, wo Sie „Whore's Glory“ den Frauen vorgeführt haben, die mitgemacht haben. Morgen geht es nach Bangkok. Wachen Sie manchmal auf und wissen nicht, in welcher Stadt Sie sind?

Michael Glawogger: Das ist ein einziges Mal passiert – in San Francisco, als ich innerhalb von sieben Tagen eine Weltumrundung geflogen bin. Ich habe bei einem Freund übernachtet und habe in der Nacht nicht gewusst, wo ich aufs Klo gehen soll. Ich habe geglaubt, ich sei in einem koreanischen Hotel.


Diesmal wollten Sie auch in Wien drehen. Warum ist nichts daraus geworden?


Ich bin nach den Dreharbeiten in Bangladesch draufgekommen, dass ich ein filmisches Triptychon machen will (Anm.: Triptychon ist ein dreiteiliges Altarbild). Ich habe nach drei Orten gesucht, die verschiedene Kulturkreise und Religionen berühren, wo ich an sozial verschiedenen Orten das Mann-Frau-Verhältnis anhand der Prostitution beschreiben kann. Nach Bangladesch war klar, dass es der Mittel-, also der Hauptteil sein muss. Die „Seitenteile“ zu erzeugen, war dann schwierig, gewisse interessante Dinge sind weggefallen.


Warum glauben Sie, dass man das Verhältnis von Mann und Frau anhand der Prostitution gut beschreiben kann? Das ist doch eine extreme Ausgangslage.

Weil ich glaube, dass Prostitution – weil es schnell gehen muss, weil es um Geld geht – nur eine Verkürzung der privaten Verhältnisse ist.


Das ist hart.

Es ist aber so. Ein Beispiel: In Mexiko gibt es eine Form der Prostitution, die sie „Gänsemarsch“ nennen. In der Mitte einer Gasse gehen fünf Frauen im Kreis, und 50 Männer stehen rundherum und schauen zu. Nur: Der Mann darf nicht wählen, sondern die Frauen können stehen bleiben und ein Gespräch anfangen. Sie gibt das Signal, um ausgesucht zu werden – und das habe ich in unserer Gesellschaft nie anders erlebt. In Thailand ist es so, dass die Frauen hinter einer Glaswand, in einem „Fishtank“,  sitzen und die Männer können auswählen. Da herrscht eine große Distanz, aber auch ein Verhalten, das zwischen allen klar definiert ist. In jedem Kulturkreis gibt es Rituale, die auch in der Prostitution gelten, weil man über das Gleiche verhandelt. Dass man am Ende bezahlt, macht einen relativ geringen Unterschied.


Aber verhandelt man wirklich ums Gleiche? Männer und Frauen verhandeln nicht nur um Sex, sondern auch um Liebe.


Auch wenn man um Sex verhandelt, ist man vor der Liebe nicht gefeit. Und ganz oft wird im Privatbereich auch nur um Sex verhandelt.


Im Buch zum Film wird in fiktiven Dialogen zwischen Prostituierten und Kunden sehr poetisch das Thema Verführung behandelt. Haben Sie das wirklich so empfunden oder ist das ein innerer, ästhetisierter Monolog?


Ästhetisiert ist es nicht, aber es bin trotzdem ich. Ich habe einen Hang, etwas zu sehen, das unter der Oberfläche versteckt ist. Stellen Sie sich mal vor, Sie sind eine Prostituierte, stehen in einem Haus mit 600 Frauen, und es kommt ein Kunde. Natürlich müssen Sie den verführen – mit aller Anstrengung.


Aber nur, weil ich ein Geschäft machen will.

Wenn man jemanden so stark verführen will – und sei es nur um ein Geschäft zu machen –  lässt einen das nicht unberührt. Alle glauben: Man geht hin, sucht aus, fickt und danach ist es vergessen und egal. Aber ficken ist einem nie egal. Und das finde ich einen viel interessanteren Punkt als die Frage, ob die Welt eine bessere wäre, wenn es keine Prostitution gäbe.


Sie haben einmal gesagt, Sie wollen nicht „die übliche Suada der Ausbeutung“ erzählen. Denn das sei nicht die Regel, sondern würde nur journalistisch so dargestellt. Warum sollten Journalisten das tun?

Weil es die bessere Geschichte ist. Prostitution an sich ist keine Geschichte. Zwangsprostitution, die ein Verbrechen ist, hingegen schon. Mir ist es darum gegangen, den Alltag der Prostituierten zu beschreiben, und der ist nicht grundsätzlich Zwangsprostitution.


Das kommt darauf an, wen man fragt. Es gibt Schätzungen, dass 80 Prozent aller sklavenähnlichen Arbeitsverhältnisse in der Prostitution zu finden sind. Was heißt: Zwang ist ein wesentlicher Teil des Alltags.

Ich habe vier Jahre recherchiert. Ich sage nicht, dass es keine Zwangsprostitution gibt, aber sie kann nicht der Alltag sein. Sonst würde Prostitution nicht funktionieren.


Ich habe aber nicht den Eindruck, dass die Frauen, die sie beschreiben, alle Prostituierte sein wollen. Es gibt solche, die verkauft, misshandelt wurden; die Frauen in Bangladesch träumen vom „normalen“ Leben.

Genau das lasse ich sie auch erzählen. Wie gesagt: Ich behaupte nicht, dass es nie Zwang gibt – er ist nur nicht der Ausgangspunkt des Films. Und natürlich träumt eine Prostituierte mit ihrem außergewöhnlichen Leben vom normalen. Von einem anderen Leben träumen aber auch viele Menschen.


Von dem Leben im Prostituierten-Ghetto in Bangladesch?

Wir betrachten die Lebensumstände der Prostituierten immer als etwas Exotisches, Wildes. Ich habe versucht, sie weniger voreingenommen anzuschauen. Der Begriff „Freiwilligkeit“ wird bei der Prostitution in der Diskussion auch immer anders empfunden. Wenn einer ins Büro geht, weil er sonst kein Geld hat, ist es uns egal, ob er es gern tut.  Wenn sich eine prostituiert, weil sie Geld braucht, gilt es schon als Zwang. Weil hier das Intimste verkauft wird. Aber es ist auch das Einfachste, was man verkaufen kann – weil es jeder hat. Eine Prostituierte hat mir gesagt: „I'm literally sitting on a goldmine.“


Den Titel „Whore's Glory“ – hatten Sie den von Anfang an im Kopf oder ist er ein Schluss aus dem Gesehenen?

Von Anfang an. Ich mir gedacht, wenn überhaupt, kann man vor der Sache nur den Hut ziehen.


Weil?

Weil sie eine wichtige Funktion in der Gesellschaft erfüllt. Ohne Prostitution würde viel Zwischenmenschliches zusammenkrachen. Schauen wir nur Bangladesch an, mit seinen sehr strengen Vorstellungen von Ehe und wie die Welt funktionieren soll. Das würde implodieren.


Können Sie den Reiz der Prostitution verstehen, warum man Geld für Sex zahlt?

Das ist jetzt sehr persönlich. Ich könnte sagen, das geht Sie nichts an.


Ja, das könnten Sie.

Ich glaube, jeder kann den Gedanken nachvollziehen, dass man etwas tut, wofür man bezahlt und wo daher, wie man so sagt, „no strings attached“ sind. Man zahlt sich frei. Ob das gut ist oder nicht, ist eine andere Sache. Männer sind in dieser Hinsicht auch unglaublich dumm. Jeder, auch wenn er der zwanzigste Kunde an dem Tag ist, glaubt: Bei mir wird sie es schön haben, in mich wird sie sich verlieben.


Glauben die das wirklich?

Ja. Ich finde es übrigens eine Ungerechtigkeit, dass es das umgekehrt für Frauen nicht gibt – zumindest nicht in dem Ausmaß. Sie können heute nicht aus ihrem Verlag raus gehen und sich denken, puh, anstrengender Tag, ich hole mir einen hübschen Jungen aus dem Puff.


Dass es das kaum gibt, liegt vielleicht auch daran, dass Frauen sich begehrt fühlen wollen. Wenn man zahlt, kann man sich über die Motive des Anderen nur schwer täuschen.

Wenn das auf alle Frauen zutrifft, dann sind sie einfach klüger als Männer.


Nur realistischer vielleicht – in diesem Punkt. Ihre Dokumentarfilme richten den Blick auf Dinge, die man erschütternd finden kann. . .

. . . Ich richte den Blick auf Dinge, die die Schönheit des Menschen zeigen, weil er sich unter den wildesten Umständen behauptet. Wenn wir uns von der Welt abschotten und das nicht wahrnehmen, wozu wir fähig sind, werden wir keine Chance haben, uns selbst zu erkennen.


Was ich fragen wollte: Gibt es Momente, wo Sie Mitleid haben und darüber nachdenken, einzugreifen, zu helfen?

Hunderte. Jeden Abend im Hotelzimmer wird das diskutiert, ich bin mittlerweile Pate eines Kindes einer Prostituierten aus meinem Film „Megacities“. Aber ich kann nicht 300 Mädchen aus einem Puff in Bangladesch freikaufen. Es ist weder mein Beruf noch hätte es einen anderen Sinn, als mein Gewissen zu beruhigen. Es wäre für die Leute auch absurd, denn das, was Sie oder ich als abstrus empfinden, ist für sie der Normalzustand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 061.08.2011)

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