Burlesque-Film: Jungs im Mädchenzimmer

BurlesqueFilm Jungs Maedchenzimmer
BurlesqueFilm Jungs Maedchenzimmer(c) Stadtkino
  • Drucken

Der renommierte französische Schauspieler und Regisseur Mathieu Amalric über seinen neuen Film "Tournée", den rebellischen Zauber seiner (echten) Burlesque-Artistinnen und die Geheimnisse beim Improvisieren.

Überraschenderweise spricht mich Mathieu Amalric auf deutsch an: „Leider müssen wir uns auf französisch unterhalten“, lächelt er entschuldigend. „Ich hatte zwar gelernt deutsch in der Schule, aber es ist . . .“, er sucht nach den Worten. „Zu lange her?“ – „Oui!“ Er lächelt wieder.

Amalric ist einer der renommiertesten Schauspieler des französischen Kinos, zu internationaler Bekanntheit gekommen ist er spätestens 2007, als er im Bond-Film Quantum of Solace den Schurken gab. Weniger bekannt ist sein (schmales) Werk als Regisseur: Das sollte sich mit seinem dritten Kinofilm Tournée ändern, für den er letztes Jahr den Regiepreis in Cannes erhielt und der eben in Österreich angelaufen ist. Amalric spielt auch die Hauptrolle: einen Manager auf dem absteigenden Ast, der seine Karriere neu beleben will, indem er eine Truppe von Künstlerinnen der „New Burlesque“-Bewegung nach Frankreich holt. Die spielen sich selbst: Damen mit so schönen Künstlernamen wie Mimi LeMeaux, Dirty Martini oder Kitten on the Keys geben in Bühnenszenen Kostproben ihres Talents – etwa ein berückender Tanz zu „Moon River“, nackt im durchsichtigen Ganzkörperballon. Wo Hollywood dem aktuellen Revival der 1930er-Varietétradition in Burlesque mit Christine Aguilera einen schlechten Namen gegeben hat, macht Amalrics roher Film alles richtig.

Tourleben: „Der Morgen ist schrecklich!“

Eine offensichtliche Triebfeder von Tournéeist die Liebe und Begeisterung für die zeitgemäße Schönheitsstandards verweigernden Burlesque-Artistinnen. „Danke!“, freut sich Amalric auf deutsch, bevor die Übersetzerin etwas sagen kann. Ursprünglich wollte er nur einen Text der Französin Colette („Gigi“) über ihre Erfahrungen bei Music-Hall-Tourneen in der französischen Provinz Anfang des 20. Jahrhunderts adaptieren. In der New-Burlesque-Szene fand er dann das ideale Vehikel für eine Modernisierung.

„Als wir das Drehbuch schrieben, hatten wir die Mädchen noch gar nicht getroffen“, gesteht Amalric: „Eine Fantasie von Jungs, wie es im Mädchenzimmer aussieht. Deshalb fanden die es dann wohl so amüsant: Sie stellten fest, es gibt Übereinstimmungen, ein Echo. Wie bei Colette geht es mir um die Bewegung von Menschen, die im Showbusiness auftreten und eigentlich nur auf den Abend zuleben. Der Morgen ist schrecklich! Da wussten die Mädchen: Wir sind auf einer Wellenlänge. Erst danach haben wir uns ihre Shows angeschaut.“ Dass New Burlesque mit der Verweigerung heutiger Hochglanzideale etwas Rebellisches hat, war auch perfekt: „Wie sie ihre Wut, auch die politische, in ihren Shows in Großzügigkeit umwandeln, das hat etwas Ansteckendes, das über den Körper vermittelt wird. Ich habe tatsächlich Zuseherinnen nach diesen Auftritten sagen hören: ,Das müsste von der Sozialversicherung bezahlt werden!‘.“

Die Liebe erstreckt sich im Verlauf des Films auch in den Bereich jenseits der Bühne. Bevor es im Ensemble knistert, gibt es eine der magischsten Kinoszenen der letzten Jahre, als der Manager mit einer Tankstellenverkäuferin flirtet. „Auf den Moment sprechen sie mich überall an!“, entfährt es Amalric, „ob in Kanada, Moskau oder Japan.“ Vielleicht, weil er seine Idee auf den Punkt bringt, dass die Tournee-Nomaden die Abenteurer von heute sind: „Wir sind ja keine Ritter mehr, die blutverschmiert in der Herberge ankommen, wo eine Dienerin mit Dekolleté das Bad einlässt.“ Und die Szene ist ganz spontan entstanden: „Das mag paradox klingen, aber Improvisation ist nur möglich, wenn vorher enorme Vorarbeit stattgefunden hat – wie beim Jazz, wo jeder genau die Akkorde kennt.“ Darum wundert es Amalric auch nicht, dass sein Film viele an die großen Arbeiten von John Cassavetes erinnert: „Man vergisst immer, dass Cassavetes vom Theater kommt. Für Husbands hat er zwei Monate lang geprobt mit den Schauspielern. Das war ganz genau einstudiert. Aber danach ist es ihm dennoch gelungen, das Leben einzufangen.“

Zur Person

Mathieu Amalric (*1965, Neuilly-sur-Seine) ist einer der populärsten Darsteller Frankreichs. Er spielte in fast allen Filmen seines renommierten Freundes Arnaud Desplechin, für Raúl Ruiz („Genealogien eines Verbrechens“, 1997), Olivier Assayas („Ende August, Anfang September“, 1998) und Alain Resnais („Vorsicht Sehnsucht“, 2009). Internationale Auftritte hatte er u.a. in Spielbergs „München“ (2005) und im Bond-Film „Ein Quantum Trost“ (2007). Derzeit dreht er mit Resnais und Desplechin. „Tournée“, seine dritte Regiearbeit, kam soeben ins Kino. [Stadtkino]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.