Glawogger: „Das Puff ist auch ein komischer Ort“

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Michael Glawogger über „Whores' Glory“, sein großes Triptychon der Prostitution, das am Mittwoch bei einer „Presse“-Premiere vorgestellt wurde. Dreh der ersten Episode in Bangladesh gab den Takt vor.

Die Presse: Ihr Dokumentarfilm „Whores' Glory“ ist ein Triptychon zur Prostitution: Sie zeigen einen „Fish Tank“ in Bangkok, wo Prostitution offiziell nicht existiert. Dort sitzen die Mädchen hinter einer Glasscheibe und werden per Nummer ausgewählt. Das „Haus der Freude“ in Bangladesh ist ein riesiges Bordell, wo hunderte Prostituierte auf engstem Raum mit ihren Kindern leben und arbeiten. Und in der mexikanischen „Zona“ nahe der texanischen Grenze kreisen Kunden auf der Ausschau im Auto langsam über Dreckstraßen. Wie kamen Sie zu dieser Auswahl?

Michael Glawogger: Der Dreh der ersten Episode in Bangladesh gab den Takt des Films vor. Diese Episode wurde so substanziell, so sehr ein Herzstück, dass ich dachte: Um das nicht zerstören zu müssen, brauche ich ein System für die anderen beiden Episoden, zwischen denen sie eine breite Mitte bildet. Diese Triptychon-Idee habe ich unbewusst schon lange mit mir herumgetragen. Meine Prämissen waren: drei verschiedene Kulturen, drei verschiedene soziale Gewichtungen, drei verschiedene Religionen. Als zweites kam die mexikanische „Zona de tolerancia“ – das konnte nur der Schluss sein! Noch dazu ist es dort extrem katholisch, da sind die Dinge zusammengefallen. Thailand wollte ich als Anfang schon wegen der Glaswand zwischen Mann und Frau: Das etabliert diese Trennlinie, die man überall hat, am besten.

War es nicht schwer, die Drehgenehmigung in Thailand zu kriegen?

Da war mir zunächst der Zugang verwehrt. Das war insofern am riskantesten, weil ich nicht wusste, ob ich im Buddhismus noch einen Ort finde, der so sprechend ist. Von über 100 Fish-Tanks, die ich angeschaut hab, hatte ich eine Shortlist: Der, in dem ich dann gedreht hab, war unter den ersten drei – und zugleich der einzige, wo zugesagt wurde. In Thailand kann man außerdem bei der Zensurbehörde keinen Antrag für etwas stellen, was es offiziell nicht gibt. Alle Asiaten haben ja das Gefühl: Wenn ein westlicher Mensch kommt, dann sucht er nach dem Schlechten. Da kam der zweite Riesenschritt: Ich hatte ein Etablissement gewählt, das eigentlich Thais besuchen – den bösen Sextouristen hätten sie sich vielleicht noch einreden lassen, aber das will man schon gar nicht sehen, auch wenn es tief in der thai-chinesischen Kultur verwurzelt ist. Letztlich funktioniert es so, dass man um etwas ansucht, ohne dass es im Antrag drinsteht – oder nur augenzwinkernd: Jeder weiß natürlich, worum es geht. Eine Thai-Firma muss dafür gegenüber der Zensur den Kopf hinhalten: Die können dafür ihre Lizenz als Filmproduktion verlieren, das macht also niemand so leicht, das verdankte ich engen Beziehungen meines Line-Producers mit lokalen Firmen. Da stand jemand in nahem Kontakt mit dem Königshaus und hat irgendwie das Projekt unterstützt.

Hatten Sie nicht ursprünglich auch erwogen, in Wien zu drehen?

Ich weiß, dass das immer wieder gefordert wird. Aber in den zehn Jahren, in denen ich diese Art von Filmen mache, wurde das immer absurder. Ich sage das Wort nicht gern und lasse es auch aus allen Inhaltsangaben meiner Pressehefte streichen: Globalisierung. Weil es ein Wort ist, dass als Projektionsfläche dient, dass jeder gerne für das verwendet, was er gerade braucht: Es ist kein klares Wort. Aber wenn wir – ohne dieses Wort – davon ausgehen, dass die Welt näher zusammengerückt ist, so ist für mich der europäische Heimataspekt obsolet geworden. Durch mich selbst – oder wie Kritiker vielleicht sagen würden: durch meinen westlichen Blick – ist das sowieso drinnen. Mir scheinen die Verbindungen über Kulturkreise, gesellschaftliche Stellungen und Religionen interessanter als der etwas simple Gedanke: „Bei uns zu Hause gibt's auch Huren!“ Es ist auch viel mehr ein Film über Sexualität oder das Mann-Frau-Verhältnis in gewissen Kulturen, als es ein Film über Huren ist. Obwohl es auch ein Film über Huren ist.

Es geht mehr um die Rituale der Liebe als nur um die Rituale des Sex.

Das sehe ich auch so. Aber ich bin damit konfrontiert, dass meine Filme als „social cinema“ wahrgenommen werden, was sie bis zu einem gewissen Grad auch anstreifen. Aber ich hoffe, sie sind mehr als das! Darum bin ich auch mit den Einordnungen manchmal nicht so einverstanden – die einzige Einordnung, die ich akzeptieren kann, ist die der Uneinordenbarkeit, die macht mich dann glücklich, und an der arbeite ich seit sehr, sehr langer Zeit.

Haben Sie zur Vorbereitung viele Filme zum Thema angesehen?

Nicht wirklich: Bei den wenigen, die ich gesehen habe, fand ich, dass gleichzeitig eine unglaubliche Anziehungskraft der Rotlichtmilieus vorhanden war – und eine wahnsinnige Angst davor. Es ist auch ein komischer Ort: Nichts ist für Huren fürchterlicher als diese Gafferkunden, die in ein Puff kommen und eigentlich keinen Sex wollen. So kommen mir die meisten Filme über Prostitution vor. Also wollte ich das Puff im Film als ganz normalen Ort behandeln – was er innerhalb einer bestimmten Welt ja auch ist. Die Dokumentarfilme, die ich gesehen haben, waren gar nicht überzeugend – eher Abgründe, mit Ausnahme zweier Filme von Nick Broomfield: „Fetishes“ und „Chicken Ranch“ sind interessante und geglückte Versuche.

Und bei den Spielfilmen?

Über Buñuels „Belle de Jour“ kann ich mich noch heute totlachen: Die Wahl dieser kalten Frau! Oder das Geschenk des Kunden: Als die Frau die Schachtel aufmacht, kommt ein Kasperl rausgehüpft. Das sind für mich goldene Momente des Kinos. Auch Jean-Luc Godard, der ja selbst ein ausgewiesener Kunde ist, hat großartige Filme aus der Kundenperspektive gemacht, weil er sie gleichzeitig intellektualisiert und alles drauf projiziert, was er da sehen will. Das ist ja ein hochinteressantes Ding in der Prostitution: Der Mann ist in seinem Denken wirklich so gestrickt, dass er beim Hingehen glaubt, er ist der eine, für den es anders ist. Und das ist auch das, worauf jeder Spielfilmregisseur reinfällt!

Auf einen Blick

Michael Glawogger, 52, arbeitet als Regisseur, Kameramann und Autor, er studierte am San Franciso Arts Institute und an der Filmakademie Wien. Das Spektrum seiner mehrfach ausgezeichneten Arbeiten reicht vom Kurz- und Dokumentarfilm („Megacities“, 1998) über das Drama („Slumming“, 2006) bis hin zur Komödie („Contact High“, 2009) [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2011)

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