Wiener Kinos: Filmriss auf Etappen

Wiener Kinos Filmriss Etappen
Wiener Kinos Filmriss Etappen(c) Teresa Zötl
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Von den einst 100 Wiener Kinos sind nur noch 27 übrig. Die Stadt fördert, rentabel sind viele schon lange nicht mehr. Die teure Digitalisierung könnte für einige das endgültige Aus bedeuten.

Für Michaela Englert gibt es nur zwei Möglichkeiten: zusperren oder digitalisieren. Die Betreiberin des kleinen Admiralkinos in der Wiener Burggasse würde sich gerne für Letzteres entscheiden. Weil sie, wie langfristig alle Kinos, muss. Denn in zwei, drei, vielleicht auch erst in fünf Jahren wird es Filme nicht mehr auf 35-mm-Rolle, sondern nur noch als digitale Kopien geben.

Für Englerts Admiral, wie auch für viele andere Kinos in der Stadt, wird die unausweichliche Digitalisierung zur Existenzfrage, weil sie sich die technische Umrüstung schlicht nicht leisten können. 80.000 Euro pro Saal kostet es, wenn man auf den amerikanischen DCE-Standard umstellt. Für einige, die jetzt schon kämpfen, könnte das das endgültige Aus bedeuten, befürchtet man in der Branche. Diese kränkelt ohnehin. Wegen der Konkurrenz durch DVDs, Filmpiraterie etc. Die Anzahl der Kinos in der Stadt dürfte weiter sinken. Vor zehn Jahren gab es noch 38 Kinos, heute sind es 27, von denen viele nur dank Förderung der MA 7 (Kulturabteilung) über die Runden kommen.

Wobei nicht nur die kleinen Kunstkinos straucheln, sondern die Branche insgesamt: Heuer im Juni hat mit dem „Auge Gottes“ ein mittelgroßes Mainstreamkino geschlossen, kommende Woche sperrt mit dem Cineplexx Reichsbrücke sogar ein großes Multiplexkino zu. Unvorstellbar, dass es in den 1960ern hundert Kinos in Wien gab.

Damals, als es noch nach rosigen Zeiten für die Branche aussah (obwohl die Konkurrenz durch das Fernsehen wuchs), übernahm Anna Nitsch-Fitz die „Breitenseer Lichtspiele“ in Penzing, nach eigenen Angaben das „wahrscheinlich älteste Kino der Welt“. Heute steht Nitsch-Fitz, Jahrgang 1938, vor dem Aus. „Die Saison war eine Katastrophe“, sagt sie und blättert wie zum Beweis in einer Mappe, in der sie penibel die Besucherzahlen jeder Vorstellung notiert.

Um die 220 Besucher kamen zuletzt. Im Monat. Das macht 3,7 Besucher pro Film. Eigentlich sollte gerade „David und Goliath“ laufen, die Leinwand bleibt aber dunkel: Kein einziger Besucher ist gekommen. Auch in der Spätvorstellung wird nur eine einzige Besucherin im historischen Saal – die Sessel stammen aus 1905 – sitzen. Die 13.000 Euro, die die Breitenseer Lichtspiele im Jahr von der MA 7 bekommen, sowie ihre Pension (Nitsch-Fitz war Lehrerin) reichen nicht einmal mehr für eine runde Null.

Stadt fördert. Wenn der eben gestartete „Sandalenfilm“-Schwerpunkt (Ben Hur etc.) nicht den erhofften Aufschwung bringt, muss sie 2012 schließen, sagt Nitsch-Fitz, und es klingt nicht verbittert, eher resigniert. Ihr Neffe würde das Kino übernehmen, wenn er selbst kein Geld investieren muss. Davon sind die Lichtspiele, deren Einrichtung ebenso wie das Filmprogramm im vorigen Jahrhundert stehen geblieben ist, weit entfernt. Die Digitalisierung wäre selbst mit kräftiger Förderung unleistbar.

Für andere Kinobetreiber hat sich vor wenigen Tagen ein kleiner Hoffnungsschimmer aufgetan: Die Stadt Wien hat, deutlich später als andere Bundesländer, beschlossen, kleinen und mittleren Kinos bei der Digitalisierung finanziell unter die Arme zu greifen. 20.000 Euro sollen Premierenkinos noch heuer bekommen, Nachspielkinos wie das Admiral 15.000 Euro. Admiral-Betreiberin Englert wird einen Antrag stellen, auch Erich Hemmelmayer, der das Bellaria Kino hinter dem Volkstheater führt, will dank Förderung noch im Herbst in ein digitales Abspielgerät investieren. Auch vom Kulturministerium wird noch Unterstützung für Programmkinos kommen, Details sollen in einigen Wochen präsentiert werden.

80 Prozent haben umgerüstet. Für Kurt Schramek, Obmann der Lichtspieltheater in der Wiener Wirtschaftskammer, sind das längst fällige Maßnahmen. Aber auch die Filmverleih-Firmen sollten die Kinos finanziell unterstützen, findet er, da sie durch die Umstellung auf digitale (und daher günstige) Kopien Kosten sparen. „Für die ganz kleinen Kinos wird aber auch das zu wenig sein“, sagt er. Eine Alternative böte sich, wenn sie nicht auf das amerikanische, sondern auf das europäische „E-Cinema“ umstellen, das deutlich günstiger ist und für kleinere Leinwände laut Schramek ausreichend gute Qualität bietet. Genau das plant Englert im Admiral. „Ich habe mir zwei Kostenvoranschläge machen lassen, die liegen zwischen 20.000 und 30.000 Euro“.

Auch wenn die kleinen Kinos bisher fast durchwegs abgewartet haben: Insgesamt ist man in Österreich dank der großen Kinoketten mit der Umstellung schon weit. Mit Jahresende werden 80Prozent der Säle digitalisiert sein. Damit liegt man deutlich vor Deutschland, das mit etwa einem Viertel der Säle hinterherhinkt. Wovon wiederum die kleinen heimischen Betreiber profitieren. Solange es in Deutschland Bedarf an 35-mm-Filmen gibt, wird Österreich problemlos beliefert. Und die kleinen Häuser können weiterstraucheln.

Die wenigen, die es noch gibt. Nitsch-Fitz sitzt im kleinen Foyer ihres Kinos und blättert im Verzeichnis der Wiener Kinos von 1963. Jedes Mal, wenn eines gesperrt hat, hat sie den Eintrag mit Bleistift durchgestrichen. Das Flotten: durchgestrichen, geschlossen 2002. Das Universum: durchgestrichen. Das Ideal: ebenso. Sie blättert weiter. Im 14. Bezirk findet sich noch drei Kinos, darunter ihres. Nitsch-Fitz seufzt. Sie weiß: Irgendwann, irgendwann bald, wird sie auch ihre Lichtspiele durchstreichen müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2011)

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